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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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die Fotos. Ich konnte die wichtigsten Gebäude aus Ziegel- und Steinmauerwerk erkennen: das Postamt, das Gericht, selbst Our Lady of Compassion , die »Mädchenschule«, neben dem Krankenhaus. Aus der Vogelperspektive ähnelte die Stadt überhaupt nicht dem zusammengestoppelten, an den Berghängen klebenden Nest aus Steildachhäusern.
    Mich erstaunte, wie flach alles wirkte. Die Berge und Wälder, die abschüssigen gewundenen Wege und Straßen wurden vom Auge der Luftbildkamera geradezu verharmlost. Wie perfekt sich unser Land in das Tal schmiegte – gerade so, als wäre mein Großvater bei der Inbesitznahme von einem göttlichen Plan gelenkt worden.
    Der junge Vertreter beobachtete uns erwartungsvoll, während wir die Aufnahmen studierten. »Das fertige Bild wird dann von einem Aquarellisten handkoloriert«, sagte er und nahm sich ein Heidelbeertörtchen von der vollen Platte, die vor ihm stand.
    Niemand hatte unsere Küche je betreten, ohne zur nächsten Mahlzeit zu bleiben oder sich wenigstens auf einen Tee zu setzen und sich von den gebackenen Leckerbissen zu nehmen, die immer auf dem großen Sideboard in der Ecke der Küche standen. Ich glaube, meine Mutter wäre entsetzt gewesen, wenn irgendjemand je ihr Haus verlassen hätte, ohne dass etwas von ihr Zubereitetes in seinem Magen gelandet wäre. Familienangehörige, Freunde oder Leute, die durch die Gegend kamen – sie alle wurden gleich behandelt. Selbst die Angehörigen des kleinen Trupps der Royal Canadian Mounted Police machten auf ihren abendlichen Patrouillenritten oft für ein paar von meiner Mutter zubereitete Snacks bei uns Station. Handlungsreisende, wie der Bürstenhausierer von Fuller Brush, der Mann von Watkin’s und die Avon-Dame, mussten alle den pechschwarzen Tee meiner Mutter – »Pantherpisse« nannten Morgan und Carl ihn – trinken, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollten, etwas zu verkaufen.
    Nicht viele zogen ohne mindestens eine kleine Bestellung wieder ab. Natürlich war es von Vorteil, wenn die Reisenden Mutter sympathisch waren. Und wie sehr mochte sie Leute, die gut erzählen konnten! Ich glaube, diese aussterbende Spezies von Hausierern unterhielt sie besser als der Schwarz-Weiß-Fernseher in der Ecke unseres Wohnzimmers.
    Der junge Vertreter, der an jenem Tag am Ende des Tisches saß, genügte diesen Ansprüchen nicht. Aber das spielte keine Rolle. Ich konnte es meiner Mutter von den Augen ablesen, dass sie unbedingt eines dieser kolorierten Luftbilder haben wollte. Auch mein Vater war begeistert, aber ich ahnte aufgrund der Art und Weise, wie seine Zigarette von einem Mundwinkel zum anderen wanderte, dass er es auf eine Feilscherei anlegte.
    Der Vertreter nahm einen Schluck Tee, schaute über den Rand des Porzellanbechers und fragte: »Haben Sie jemals Ihr Haus aus der Luft gesehen?«
    Selbstverständlich hatten weder mein Vater noch meine Mutter je in einem Flugzeug gesessen, aber beide waren – obwohl Vater sich sehr bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen – fasziniert von den Bildern. Mom beugte sich darüber, fuhr mit den Fingern langsam, fast ehrfürchtig die Straßen entlang, ohne das Papier zu berühren. Sie hielt die andere Hand gegen die Brust gepresst, als hätte sie Atemprobleme. »Das sieht so schön aus«, hauchte sie, »so schön.« Ihre Finger fanden das Haus, den Stall und die Molkerei. »Alles scheint so nahe beieinander zu sein. Schau nur, Natalie, du kannst den See sehen und die alte Bergarbeiterhütte.«
    Mein Vater beugte sich vor, um einen raschen Blick darauf zu werfen, und gab sich die größte Mühe, seine souveräne Miene aufzusetzen. »Also, wie viel?«, fragte er.
    »Nun«, sagte der Vertreter mit der Selbstsicherheit dessen, der weiß, dass das Geschäft gelaufen ist. »Das hängt von der Größe und der Rahmung ab. Das Großformat …«
    »Wie lange?«, platzte es aus meiner Mutter heraus.
    »Wie bitte, Ma’am?«
    »Wie lange wird es dauern, bis das Bild im Großformat koloriert, gerahmt und geliefert ist?«
    Mein Vater hüstelte. »Wart doch mal einen Augenblick, Nettie«, sagte er. »Wir haben ja noch gar nichts entschieden. Hören wir uns erst mal die Preise an. Wahrscheinlich kosten die Bilder ein kleines Vermögen.«
    Mom war der geduldigste Mensch, den ich kenne, aber wenn sie sich einmal für etwas entschieden hatte, dann erwartete sie auch Taten. Dennoch widersprach sie Dad selten, und schon gar nicht in Gegenwart eines Fremden. Sie hatte es sich nun aber einmal in

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