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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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seine Familie und die Farm zähneknirschend zu bewundern. Zumindest bis Boyer sechzehn wurde.
    Als Boyer keine Anstalten machte, die Schule so bald zu verlassen, sah es Jake als seine Pflicht an, ihn zu bedrängen. Jeden Abend meckerte er bei Tisch herum. »Hier könnte man schon einen zusätzlichen Mann gebrauchen«, brummte er, oder: »Ich werde ja auch nicht ewig da sein.«
    »Aus diesen Büchern wirst du gar nichts über Milchwirtschaft lernen«, schnauzte er, wenn er Boyer mit einem Roman in der Hand sah.
    »Das Bergwerk sucht Leute«, hörte ich ihn eines Nachmittags sagen, als Boyer siebzehn war. »Da der Preis für das Heu verrückt spielt, könnten deine Eltern ein zusätzliches Einkommen gebrauchen.«
    Das Bergwerk? Boyer – im Bergwerk arbeiten? Ich sah Boyer an, der gerade die Tür zum Treppenhaus öffnete, einen Stapel Bücher im Arm. Er zögerte nur eine Sekunde und stieg dann die Treppe hinauf.
    Jake rief ihm hinterher: »He, Bücherwurm, hast du in deinem Versteck da oben irgendwelche Zeitschriften mit nackten Mädchen?«
    Boyer drehte sich auf der Treppe um und hielt die Bücher hoch. »Möchtest du sie haben, Jake?«, fragte er. »Das sind meine Schulbücher. Ich brauche sie nicht mehr.«
    Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, herrschte an diesem Abend beim Essen Stille. Nach dem Melken kam Mom von der Molkerei herauf, ging geradewegs in ihr Schlafzimmer und zog die Tür hinter sich zu. Morgan und Carl besorgten unter ihren üblichen Kabbeleien den Abwasch und zogen dann, ohne ein Wort zu sagen, ins Wohnzimmer. Während ich abtrocknete, hörte ich aus dem Fernseher den vertrauten Peitschenknall der Erkennungsmelodie von Rawhide . Ich ging auf den Dachboden, wo Boyer auf seinem Bett saß und las. Er blickte über den Rand seines Buches, als ich eintrat.
    »Was liest du da?«, fragte ich und ließ mich auf den Stuhl an seinem Schreibtisch fallen.
    »Der Fänger im Roggen« , sagte er und hielt das Buch so, dass ich den Titel sehen konnte.
    »Kann ich es lesen, wenn du fertig bist?«
    Boyer legte ein Lesezeichen zwischen die Seiten. »Ich glaube nicht, dass dich das im Moment interessieren würde.« Er kniete sich auf das Bett. »Wir werden gleich ein besseres für dich finden.«
    »Hast du wirklich die Schule aufgesteckt?«, fragte ich, während er die Regale absuchte.
    »Ja.« Er zog ein paar Bücher vom obersten Brett herunter.
    »Warum?« Ich drängte die Tränen zurück, die mir in die Augen stiegen. »Gehst du fort?«
    »Nein, es bleibt alles, wie es ist«, sagte er und wandte sich mir zu. »Ich werde jeden Abend da sein.« Ich konnte die falsche Fröhlichkeit aus seiner Stimme heraushören.
    »Es ist wegen Dad, oder?«, platzte ich heraus. »Nur weil er die Schule gehasst hat, erwartet er das von jedem anderen auch.« Mit meinen Worten entfuhr mir eine Wut, die mich selbst verblüffte.
    Boyer setzte sich mir gegenüber hin. Er legte die Bücher auf den Schreibtisch. »Nein, das war meine Entscheidung, Natalie. Es ist einfach das Richtige.«
    »Er kann nicht lesen! Weißt du, dass er nicht lesen kann? Deshalb! Er will, dass auch du nicht intelligent bist …!« Die Worte stürzten aus meinem Mund heraus, als könnten sie Boyer davon überzeugen, mit der Schule weiterzumachen.
    »Wie kommst du darauf, dass er nicht lesen kann?«, fragte Boyer und reichte mir dann ein Papiertaschentuch.
    Ich erzählte ihm, was an dem Tag zwischen Mom und Dad in der Küche vorgefallen war, als sie das aquarellierte Bild von der Farm kauften.
    Boyer seufzte. »Schau mal. Zuallererst: Wenn jemand nicht lesen kann, heißt das noch lange nicht, dass er nicht intelligent ist. Dad hat einfach die Schule nie so erlebt wie du und ich. Damals war es anders. Farmer werden, das war alles, was Dad je wollte. Zweitens«, sagte er, »ist er ein stolzer Mann. Versprich mir, Natalie, dass du ihn nicht darauf ansprichst. Versuch zu verstehen, wie das für ihn ist: nicht lesen zu können!«
    Jetzt begriff ich, warum Boyers schulische Leistungen nichts waren, was Mom mit Dad teilte. Alle unsere Zeugnisse wurden von ihr gelesen und unterschrieben. Ich erinnerte mich an ihre Freude über meine Noten, dass aber ihre Begeisterung gedämpft klang, wenn sie Dad bei Tisch die Zeugnisse vorlas. Da lächelte mein Vater und sagte: »Gut gemacht, Natalie.« Und damit war sein Interesse an meinen Schularbeiten erloschen.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass sie je mit ihm über Boyers Zeugnisse gesprochen hätte. War das so, weil sie das

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