Milner Donna
Gefühl hatte, dass die hervorragenden Noten und die überschwänglichen Bemerkungen für Dads Ohren zu viel wären? Oder dass es ihre Sache war, den Stolz zu hegen und mit ihm zu leben? Ich bin mir sicher, dass sie diesen Stolz jeden Sonntag mit demütiger Ehrfurcht beichtete.
»Versprochen?«, wiederholte Boyer.
Natürlich versprach ich es ihm.
Am nächsten Morgen erschien Boyers Englischlehrerin an unserer Tür. Ich hörte das energische Klopfen, während Mom und ich die Wäscheschleuder in die Verandaecke zurückschoben. Ich öffnete die Verandatür.
Mrs. Gooding war nicht viel größer als ich. Graue Haare schauten unter ihrem braunen Filzhut hervor. Ihre kleine Gestalt ließ sie auf den ersten Blick zerbrechlich erscheinen, aber angesichts der eisernen Entschlossenheit in ihren Augen zuckte ich zusammen. Die Lehrerin stand auf der obersten Stufe mit einem Ausdruck der Empörung, der die Schneeflocken auf ihrem langen Wollmantel zum Schmelzen zu bringen schien. Hinter ihr sah ich die Spur ihrer Fußabdrücke, die bis zu ihrem Auto führte. Die Tatsache, dass sie sich getraut hatte, an einem Tag wie diesem zu unserer Farm herauszufahren, zeugte vom Ernst ihres Besuchs. Mom führte sie in die Veranda, wo sie wenig Zeit darauf verschwendete, sich den Schnee von den Stiefeln zu stampfen.
»Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen?«, fragte Mom, sobald wir in der Küche waren.
»Nein, ich bleibe nicht lange«, erwiderte Mrs. Gooding und legte ein Paket auf die Arbeitsplatte. »Ich habe Boyer versprochen, nicht mit seinem Vater zu reden. Deshalb möchte ich wieder fort sein, bevor Mr. Ward von seiner Milchauslieferung zurückkommt.« Sie setzte sich auf den Stuhl, den meine Mutter ihr angeboten hatte, und hielt ihre Handschuhe sittsam auf dem Schoß. »Ich bezweifle, dass Boyer Ihnen berichtet hat, wie ich gestern auf seine Mitteilung reagiert habe«, sagte sie mit ihrer nüchtern klingenden Lehrerinnenstimme. »Aber mir macht es nichts aus, Ihnen zu sagen, dass ich über diese Vergeudung eines brillanten Intellekts entsetzt bin.«
Bevor Mom eine Antwort geben konnte, fuhr Mrs. Gooding fort: »Nachdem ich meinen ersten Schock überwunden hatte, habe ich einige Telefonate getätigt. Zuerst habe ich Stanley Atwood angerufen. Ich habe ihm geschworen, dass ich ihn, wenn er diesen Jungen vor die Hunde gehen lässt, bei der Kinderfürsorge anzeige. Offensichtlich war meine Drohung überflüssig«, schnaubte sie. »Mr. Atwood ist Vorsitzender der Schulbehörde, und wenn Boyer will, gibt es bei der Buswartung ab nächsten Montag einen Job für ihn.«
Ein kleines triumphierendes Lächeln schob ihre Mundwinkel nach oben.
Mom und ich standen schweigend am Spülbecken, während sie fortfuhr: »Dann habe ich mit Boyers anderen Lehrern gesprochen.« Sie klopfte auf das Paket auf dem Tisch. »Das sind die Lehrbücher für das letzte Halbjahr. Wenn Boyer einmal die Woche die Lektionen nacharbeitet, sehen wir keinen Grund, warum wir ihm nicht erlauben sollten, am Schuljahresende die Prüfungen abzulegen.« Und sie setzte noch hinzu: »Es gibt keinen Grund, weshalb sein Name von der Schülerliste gestrichen werden sollte.«
Ich hörte, wie meine Mutter tief Atem holte, und wusste, dass ihr Traum neue Nahrung bekommen hatte.
Mrs. Gooding stand auf. »Obwohl ich mein Wort gegeben habe, seinem Vater nicht entgegenzutreten«, sagte sie, »weigere ich mich, im Gegensatz zu Mr. Ward, Boyer aufzugeben.«
Endlich fand Mom ihre Sprache wieder: »Ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie getan haben, Mrs. Gooding«, sagte sie. »Aber ich will klarstellen, dass wir, was kein Geheimnis ist, das zusätzliche Einkommen zwar gut gebrauchen könnten, dass es aber nicht mein Mann war, der Boyer veranlasst hat, die Schule zu verlassen. Es war Boyers eigener Entschluss.«
Die gerunzelte Stirn der Lehrerin verriet ihre Zweifel.
»Mein Mann ist ein guter Mensch«, insistierte Mom. »Aber er ist nun einmal in erster Linie Farmer. Milchwirtschaft ist das Einzige, worauf er sich versteht. Sie ist sein Lebensinhalt.«
»Ja«, erwiderte Mrs. Gooding und öffnete die Tür, »aber für Boyer gilt das nicht.«
13
M EIN V ATER WAR kein komplizierter Mensch. Alles, was ihn ausmachte, konnte man ihm vom Gesicht ablesen. Das Wesen seiner Persönlichkeit war in den Lachfalten um seinen Mund und in der V-förmigen Furche zwischen seinen Augen eingegraben.
Wenn mein Vater lächelte, hob sich seine rechte Augenbraue höher als die linke. Dies gab
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