Milner Donna
murmelte ihr etwas zu, während die Witwe Beckett und Jake, mit roten Augen und düsterer Miene, dastanden und abwarteten, bis sie ihr Trostworte sagen konnten. Auch Boyer wartete an Moms Seite, während sie die leisen Beileidsbekundungen entgegennahm. Dann setzten sie ihren Weg zum Holzsarg im vorderen Teil des Raums fort. Die kleine Menge teilte sich vor ihnen.
Morgan und Carl folgten. Ich blieb zurück. Der schwere Duft der Blumen widerte mich an. Kein Wunder, dass Mom nie Schnittblumen im Haus haben wollte.
Irgendwie trugen meine Beine mich voran, und ich stand hinter Mom am offenen Sarg. Sie flüsterte Boyer etwas zu. Dann beugte sie sich vor und küsste meinen Vater.
Das wächserne Gesicht zwischen den cremefarbenen Satinfalten ähnelte niemandem, den ich kannte, und schon gar nicht meinem Vater. Das war nicht einmal ein Mensch. Warum gab meine Mutter einer solchen Erscheinung einen Kuss? Und berührte sie jetzt, während sie leise Worte murmelte? Dann tätschelte sie die gefalteten Hände, genau so, wie sie die Hände meines Vaters jedes Mal getätschelt hatte, wenn sie ihm am Küchentisch seinen Kaffee einschenkte.
Sie streckte den Arm aus, legte ihn mir um die Schultern und zog mich zu sich heran. »Gib deinem Vater einen Abschiedskuss, Natalie«, sagte sie, als wäre ich ein kleines Mädchen, das gezwungen werden musste, jemanden zu küssen, der nur vorübergehend abwesend sein würde.
Ich wich zurück und wäre beinahe gefallen. Sie nahm meine Hand und legte sie auf die Brust des Betrügers. Ich spürte die kratzige Wolle des Sonntagsanzugs meines Vaters. Doch darunter war ein hohles Nichts. Das ist nicht mein Vater! Das ist nicht mein Vater!
»Es ist schon gut, Nat.« Morgan nahm meinen Arm. Hatte ich es laut gesagt?
Hinter mir meinte ich ein Raunen zu hören: »Was macht Natalie Ward jetzt eigentlich?«
Selbst hier, selbst jetzt würden sie tuscheln. Über mich, über Boyer, über unsere Familie. Ich wollte nicht unangenehm auffallen, meinetwegen nicht, meiner Familie wegen nicht. Also beugte ich mich vor und küsste die kalte graue Wange des Fremden, der irgendwann einmal mein Vater gewesen sein musste.
Dieser Abend, der nächste Tag, die Beerdigung, das alles rauschte an mir vorbei. Ich war körperlich anwesend, aber wie ein Schwimmer, der zu weit hinausgeschwommen ist, trat ich Wasser und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Ich schlief im Bett meiner Kindheit so tief, dass Carl oder Morgan am Morgen kommen musste, um mich zu wecken.
Ich träumte von meinem Vater. Er lächelte mir zu, während er ins Führerhaus seines Trucks stieg. Ich streckte den Arm aus und legte die Hand auf sein Gesicht. Es fühlte sich warm und weich an. Dann, plötzlich, war es Boyers Gesicht. Es schmolz wie Wachs und tropfte auf den Sonntagsanzug meines Vaters.
Am Morgen nach der Beerdigung rüttelte Carl mich wach.
»Natalie, komm und sieh dir das an!«, sagte er. Er eilte durch das Zimmer und stieß das Fenster auf.
Ich stieg aus dem Bett, wickelte mich in meinen Quilt und folgte ihm. Ich folgte auch seinem Blick, hinunter in den Rosengarten. Es dauerte einen Moment, bis ich die plumpe Gestalt dort unten erkannte. Es war Mom. Sie hatte die Segeltuchjacke und eine Wollhose meines Vaters an. Meine Mutter trug Hosen! Die Überraschung, sie so zu sehen, war fast so bestürzend wie der Zustand des Gartens. Um sie herum türmten sich dornenbewehrte Zweige und ganze Rosenbüsche. Mom stand da und schwang eine Axt über einem halb umgehauenen gelb blühenden Rosenstrauch. Ich sah Carl an, und dann beobachteten wir beide, wie Boyer und Morgan sich dem Garten näherten. Sie bewegten sich vorsichtig auf Mom zu, als fürchteten sie, dass sie als Nächste attackiert werden könnten.
»Mom?«, rief Boyer.
Es sah so aus, als hätte sie ihn nicht gehört. Sie ließ die Axt fallen, nahm eine Handsäge und machte sich über die untersten knorrigen Zweige des Strauchs her. Die Szene war so absurd, dass ich mich einen Moment fragte, ob ich tatsächlich schon wach war.
»Mom?«, rief Boyer wieder, als wäre ihr Name eine Frage.
»Was gibt’s?« Sie sägte weiter.
»Was … Was tust du da?«
»Wonach sieht das wohl aus, was ich hier tue?«, antwortete sie mit einem kurzen Blick nach oben. »Ich befreie mich von diesen alten Büschen.«
Boyer betrachtete das Werk der Zerstörung. »Aber dein Rosengarten …«
»Das war nie mein Rosengarten«, sagte Mom und unterstrich jedes Wort mit einem Fußtritt. »Dieser Garten hat
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