Milner Donna
Beobachtung der Tiere auf der Farm bezogen hatte. Seine Intimität vollzog sich geschäftsmäßig und so schnell wie jede Kopulation auf dem Bauernhof.
Nur einmal überwand sie ihre Scheu und versuchte, das, was sie empfand, ihm gegenüber in Worte zu fassen. Doch sie lernte rasch, dass ihr Mann über die Intimitäten ihres Schlafzimmers nicht reden konnte, nicht reden wollte. So drängte sie die unausgesprochenen Sehnsüchte zurück in jene Nächte, in denen ihre einzige Erleichterung darin bestand, dass die Last des Körpers ihres Mannes von ihrem abfiel. Und dann, am Morgen, wenn sich ihre Familie um den Frühstückstisch versammelte, die Familie, nach der sie sich in all den Jahren ihrer Einzelkindjugend gesehnt hatte, fragte sie sich, wie sie ihr Leben jemals hatte infrage stellen können. Im Licht des Tages kam sie sich töricht vor und war dankbar für die Fülle ihres Lebens. Bis River kam.
River? Jetzt fällt ihr ein, was sie Natalie sagen muss.
27
W IR NÄHERN UNS, SIND FAST DA. Ich sehe nichts außer meinem verschwommenen Spiegelbild im Seitenfenster. Aber ich weiß auch so, dass wir uns der Abzweigung nach Atwood nähern.
Der Busfahrer wirft mir im Rückspiegel einen Blick zu. »Geht’s nach Hause?«, fragt er, als er meinen Blick auffängt.
»Ja«, antworte ich automatisch und frage mich dann, warum. Atwood ist seit über vierunddreißig Jahren nicht mehr mein Zuhause.
Zuhause. So ein einfaches Wort. Was bedeutet es wirklich? Wo ist es genau? Ich denke an die Zeilen aus Robert Lee Frosts Gedicht Der Tod des Landarbeiters , das einmal zu Boyers Lieblingen gehörte.
Dein Zuhause ist dort, wo
Sie dich, wenn du hinmusst,
Aufzunehmen haben.
Und sie würden mich aufnehmen. Niemand hat mich weggeschickt oder ausgeschlossen. Mein Exil hatte ich mir selbst auferlegt.
Aber es gab dort eigentlich kein »Sie« im Plural mehr. Nur noch Boyer. Jetzt, da Mom in St. Helena’s liegt, ist Boyer das einzige Mitglied unserer Familie, das noch draußen auf dem Gelände der alten Farm lebt.
Auch die Farm ist nicht mehr dieselbe. Kurz bevor mein Vater starb, wurde der Stall automatisiert und die Milch en gros an die Molkereibetriebe verkauft, wo sie pasteurisiert wurde. Und nicht lange danach übersiedelten Morgan und Carl auf die Queen Charlotte Islands.
Der Bus verlangsamt die Fahrt. Während die Druckluftbremsen ihren lange angehaltenen Atem ausstoßen, gerate ich in einen Strudel widersprüchlicher Emotionen. Einen Augenblick verspüre ich einen Anflug von Übelkeit. Ich dränge meine Angst zurück und fange an, mein Gepäck zusammenzusuchen.
Wir halten an der breiten Kreuzung. Unter dem Highwayschild parkt der alte Ford Edsel. Boyer? Boyer ist gekommen, um mich abzuholen? Panik packt mich. Oh Gott, allein mit Boyer während der vierzigminütigen Fahrt bis nach Atwood? In fünfunddreißig Jahren habe ich nicht eine Minute mit ihm allein verbracht. Welches Gesprächsthema werden wir finden? Warum wollte er kommen? Wo ist Jenny? Und dann fühle ich, wie mir die Hitze in den Kopf steigt. Mom? Vielleicht bin ich zu spät dran.
Aber es ist nicht Boyer, der aus dem Auto steigt, während ich darauf warte, dass die Bustür sich öffnet. Mit einem Seufzer der Erleichterung steige ich aus und falle meiner Tochter in die Arme.
Durch unsere tränenreiche Umarmung hindurch versichert mir Jenny, dass es Mom einigermaßen gut geht. »Sie hat ein bisschen unruhig geschlafen, aber es steckt immer noch etwas Kampfgeist in ihr.«
Die raue Bergluft beißt mir ins Gesicht, während wir meinen Koffer im Kofferraum verstauen. Die Rücklichter des Busses entfernen sich. Dunkelheit umfängt uns. Ich hatte vergessen, wie jäh hier in den Bergen die Nacht hereinbricht.
»Ich war erstaunt, dich mit Boyers altem Auto zu sehen«, sage ich, sobald wir eingestiegen sind.
»Mein Auto«, antwortet sie, und ein bisschen Stolz schwingt in ihrer Stimme mit. »Onkel Boyer hat es mir überlassen. Ich drehe nur noch eine letzte Ehrenrunde mit ihm, bevor der Schnee kommt.«
Die Lichter vom Armaturenbrett werfen grüne Schatten auf ihr Gesicht, während sie auf den Highway einbiegt.
Wir legen schweigend ein paar Kilometer zurück, dann sagt Jenny, ohne den Blick von der Straße zu wenden: »Erzähl mir von River.«
Sein Name trifft mich wie ein Blitz. Ein Name aus einem anderen Leben, den ich seit Jahren nicht ausgesprochen habe. Meine Gedanken rasen, und ich versuche, aus der einfachen Frage einen Sinn herauszuhören.
»Mom?« Jenny
Weitere Kostenlose Bücher