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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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Herrn vermisse ich auch.« Er versuchte ein Lachen, das ihm misslang, und wischte sich die Tränen ab.
    Dann fragte er, viel zu traurig für meinen so gern herumblödelnden Bruder: »Wann hat das angefangen, dass alles so schiefging?« Er seufzte: »Ich habe geglaubt, es würde immer so weitergehen, du weißt schon, so, wie es war, als wir Kinder waren. Womit haben wir das bloß verdient?«
    Ich starrte ihn an und wusste nicht, wie ich seine rhetorische Frage beantworten sollte. Dann hob ich die Hand und berührte sein Gesicht. »Mit nichts«, flüsterte ich. Carl hatte nichts getan, womit er es verdient hätte, dass die Dinge sich so entwickelten. Aber ich.
    Die Fahrt in die Stadt dauert nicht lange, aber in der Stille jenes Tages zog sie sich hin. Jeder von uns war in seine eigenen geheimen Erinnerungen an unseren Vater versunken. Ich saß auf dem gepolsterten roten Ledersitz zwischen Morgan und Carl, hinten in Boyers Ford Edsel.
    Ich betrachtete die vertraute Straße durch das rechte Fenster, weil ich nicht geradeaus sehen wollte. Ich erlaubte mir nicht, nicht einmal zufällig, Boyer anzusehen, seinen Blick im Rückspiegel einzufangen. Er saß steif und förmlich hinter dem Lenkrad des einzigen Personenwagens, den unsere Familie je besessen hatte.
    Ehe wir den Highway erreichten, drehte Mom sich um und sagte zu mir: »Dieser Unfall war vielleicht ein Segen für deinen Vater.«
    Ihre Worte schockierten mich. Ich konnte keinen Segen in diesem Tod sehen, unter einem Traktor festgeklemmt, die Brust von einem Motor zerquetscht.
    »Bei der Autopsie haben sie festgestellt, dass er voller Metastasen war. Allen Mumford sagte mir, es sei ein Wunder gewesen, dass er überhaupt noch herumlaufen konnte. Er sagte, euer Dad hätte nicht mehr lange leben können, ohne es zu spüren, wenn er das nicht ohnehin schon tat.«
    Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Vater je einen Arbeitstag versäumt hätte, selbst wenn er Grippe hatte. Ihm fehlte die Geduld zum Kranksein. Und er hatte eine starke Abneigung gegen Krankenhäuser.
    »Sie riechen nach Tod«, sagte er. »Alle antiseptischen Mittel der Welt können diesen Geruch nicht tilgen.«
    Er weigerte sich, das St. Helena’s Hospital zu betreten, um Freunde zu besuchen oder eines von uns Kindern mit unseren Wehwehchen dorthin zu bringen. Mein Vater, der seine nackten Arme in eine kalbende Kuh tauchen und dann ein feststeckendes Kälbchen herausziehen konnte, während ihm Blut, Schleim und Fruchtwasser nur so entgegenspritzten, zuckte zusammen, wenn er sich mit Mom kurz vor ihren Entbindungen durch die Krankenhaustüren drängte. Sie erlöste ihn. Sie schickte ihn weg und behauptete, sie könne es nicht ertragen, ihn so grün im Gesicht zu sehen.
    »Gott hat euren Vater davor bewahrt, unter einer langen und qualvollen Krankheit zu leiden.« Dann fügte sie hinzu, als gäbe es seinem bizarren Tod einen Sinn: »Im Krankenhaus zu liegen hätte ihn umgebracht.«
    Ich presste mir die Faust vor den Mund, um den Lachreiz zurückzudrängen.
    »Stell dir vor«, sagte sie wehmütig, »noch am Abend zuvor hat er sein monatliches Bad genommen.«
    Nun war es aus. Ich verlor die Beherrschung. Zu beiden Seiten fühlte ich Morgan und Carl beben. Auf einmal war das Auto mit Gelächter erfüllt. Selbst Boyers und Moms Schultern begannen zu zucken.
    Bevor wir die Stadt erreichten, fuhr Boyer den Wagen an den Rand des Highways, bis die hysterischen Lachanfälle abgeflaut waren. Ich presste mir ein Papiertaschentuch gegen die Nase. Meine unterdrückten Nieser wurden auf dem Vordersitz von meiner Mutter erwidert.
    Wir stellten das Auto vor St. Anthony’s ab. Gelbes Licht flutete aus den Fenstern des Steingebäudes neben der Kirche. Plötzlich hatte ich keine Lust, hineinzugehen und den dort versammelten alten Fremden und neuen Freunden zu begegnen. Und ich wollte meinen Vater nicht in einem Sarg liegen sehen. Widerwillig stieg ich nach Morgan aus. Ich stand mit meinen Brüdern und meiner Mutter vor der Kirche und wappnete mich, dies irgendwie durchzustehen, ungerührt und unbeteiligt.
    Boyer nahm Moms Arm. Sie war erst sechsundvierzig, aber zum ersten Mal ahnte ich, wie sie als alte Frau aussehen würde. Geschrumpft, kleiner, von der Zeit abgenutzt, aber immer noch stark.
    Ich ging mit Morgan und Carl hinter ihnen her. In der Kapelle wandten sich ernst blickende Gesichter uns zu. Einige erkannte ich wieder, und von anderen wusste ich, dass ich sie wiedererkennen sollte. Mama Cooper umarmte Mom und

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