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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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herummeckerte. Manchmal waren diese Gespräche so etwas Ähnliches wie Wettbewerbe, bei denen es darum ging, welche Mutter die schlimmste Hexe war.«
    »War ich mit im Rennen?«
    »Ja, als du mir nicht erlaubt hast, mir die Ohren dreifach piercen zu lassen«, lacht sie. »Ich habe wirklich nicht die Animosität verspürt, die einige meiner Freundinnen ihren Eltern gegenüber empfanden. Aber schließlich hatten wir ja auch nicht diese Art von Beziehung, oder?«
    Das stimmte. Abgesehen von den Sommerferien hatten Jenny und ich den größten Teil ihrer Teenagerjahre allein verbracht. Nur wir beide gegen die Welt. Wie in dem alten Song von Helen Reddy. Es kam kaum zu Konflikten zwischen uns, wir waren mehr wie Freundinnen, aber Jenny war auch, wie ihr Onkel Boyer, für ihr Alter immer sehr reif gewesen – richtig altklug.
    »Wie war das denn bei dir?«, fragt sie. »Hast du deiner Mutter gegenüber jemals so empfunden?«
    »Nur kurz«, sage ich. »Nur ganz kurz.«
    Und ich sehe mich in einer Sommernacht am Fuß unserer Verandastufen stehen.
    Ich spürte, wie sich die sengende Hitze der Wut in jedem Teil meines Körpers ausbreitete. Sie hat River weggeschickt! Irgendwie hat sie es erfahren, und sie hat ihn weggeschickt!
    Ich rannte aus dem Hof. Boyer! Das muss ich Boyer sagen!
    Ich stürzte die unbefestigte Straße hinauf, vorbei am Geräteschuppen, vorbei am Luzernenfeld. Spatzen flogen von den Zaunlatten auf, Grashüpfer sprangen von den Grashalmen zu beiden Seiten der Straße, und wenn sie gegen meinen Körper prallten, klatschte ich sie blindwütig tot. Ich hastete weiter, stolperte über Erdklumpen und wischte mir mit dem Ärmel die Tränen und den Rotz vom Gesicht.
    Boyer wird es in Ordnung bringen! Boyer wird es in Ordnung bringen! Das sagte ich mir immer wieder vor. Wie genau er das bewerkstelligen würde, war nicht Teil meines hysterischen Mantras.
    Die Schatten verdunkelten den Saum des Waldes jenseits des Feldes. Ein Baldachin von Zweigen und Blättern spannte sich über die schmale Straße, die zum See führte. In dem grauen Licht wirkte Boyers Hütte leer, verlassen. Von außen war der einzige Hinweis darauf, dass hier überhaupt jemand wohnte, die neue Schindelverkleidung am Anbau. Und Boyers Edsel, der an der Seite parkte.
    Ach, hätte ich doch die Gefahr gewittert, die bittere, unerwünschte Erkenntnis, die hinter dieser schweren Holztür lauerte, als ich sie, ohne anzuklopfen, aufstieß!
    Ich stand in der Tür, schnappte nach Luft und blinzelte in den dämmrigen Raum hinein. Ich hörte einen erstickten Laut und blickte in die Richtung, aus der er kam. Dort, auf Boyers Bett, bewegte sich etwas. Als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, konnte mein Kopf nicht Schritt halten mit dem, was ich sah, nicht begreifen, was in dem schummrigen Licht vor sich ging. Entblößte Pobacken schienen auf, ein muskulöser Rücken, ineinander verschlungene Arme und Beine. Zuerst glaubte ich, ich hätte Boyer beim Schlafen überrascht, und wollte mich von seiner Blöße abwenden, als ich erkannte, dass das überraschte Gesicht, das mich anstarrte, das von River war. Und unter ihm lag, den Kopf vom Kissen hebend, Boyer.
    Die Szene vor meinen Augen, das zerwühlte Bett, die über den Boden verstreuten Kleider, Rivers Matchsack in der Ecke, sein Gitarrenkoffer an der Wand, ich nahm alles auf. Aber es ergab keinen Sinn. Die Erleichterung, River dort zu finden, rang mit der Wahrheit des Bildes vor mir. Ich hörte Boyer stöhnen: »Oh Gott, Natalie.«
    Auf dem Boden lagen zwei Paar Jeans, zusammengerollt wie Ziehharmonikas, aus denen soeben die Luft entwichen ist. Boyer und River bückten sich gleichzeitig und beeilten sich, sie über ihre nackten Beine hochzuziehen. Dennoch wandte ich mich nicht ab. Dann, so schlagartig, wie Licht in einen Raum fällt, wurde mir klar, was ich gesehen hatte.
    Ich beobachtete Boyer und River und spürte, wie mein Magen revoltierte. Ich presste die Hände vor den Mund, um das Stöhnen zu unterdrücken, das mit der Galle aufstieg.
    »Nein! Nein! Nein!« Ich konnte den Schwall verwirrter Worte nicht stoppen, der durch meine Finger in das Zimmer strömte. »Was! … Warum … Ihr könnt doch nicht … Was macht ihr da?«
    River sackte auf der Bettkante zusammen, die Schultern gekrümmt, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf gesenkt.
    Boyer kam auf mich zu. Seine Augen wichen meinen nicht aus. Sie waren müde, traurig, aber ich sah keine Scham darin, nur Hoffnung, dass ich verstehen

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