Milner Donna
zurückeilte und die Tür zuschlug.
Keine Milch mehr!
Als ich nach der Rückkehr von unserer Milchtour ins Haus trat, standen zwei Angehörige des Royal Canadian Mounted Police Detachment in unserer Küche und sprachen mit Boyer. Ich erstarrte bei ihrem Anblick, aber als ich mich an ihnen vorbeidrückte, nahmen sie kaum von mir Notiz.
Es waren dieselben Polizisten mit den frischen Gesichtern und dem Bürstenhaarschnitt, die so oft am Nachmittag oder um Mitternacht ihren Weg an unseren Tisch gefunden hatten, um mit unserer Mutter einen kleinen Imbiss einzunehmen.
Jetzt standen sie da, die Hüte in den Händen, und machten ernste Mienen.
»Es ist zu früh«, sagte der größere der RCMP-Beamten.
»Zu früh?«, fragte Boyer. »Er wird seit gestern Abend vermisst!«
Er saß am Küchentisch und schnürte sich die Wanderstiefel zu. Mom stand neben ihm und blickte, die Arme verschränkt, die Beamten unverwandt an.
»Na ja, er ist ein erwachsener Mann«, antwortete der Beamte. »Wenn es ein Kind wäre, dann wäre es was anderes. Aber ein Erwachsener muss achtundvierzig Stunden vermisst sein, bevor wir eine Suche starten können. Wer weiß, warum er verschwunden ist? Vielleicht …«
»Er hat sich verlaufen«, unterbrach Boyer, ohne aufzublicken. »Er ist in Not.«
»Ist er nicht ein Drückeberger?«, fragte der andere Beamte.
»Kriegsdienstverweigerer«, seufzte Boyer und zerrte an seinen Schnürsenkeln.
»Tja, vielleicht ist er in die Staaten zurückgekehrt. Vielleicht hat er beschlossen, sich über die Grenze davonzustehlen und nach Hause zu gehen.«
»Seine Sachen sind noch hier.«
»Okay«, sagte der größere Beamte. »Wenn er bis morgen nicht auftaucht, kommen wir mit einem Spürhund.«
»Dann könnte es zu spät sein«, sagte Boyer. Er stand auf, marschierte aus der Küche und knallte die Fliegengittertür hinter sich zu.
Dad fing ihn auf der Veranda ab. Durch das Drahtgeflecht sah ich, wie er Boyer die Hand auf die Schulter legte. »Leg dich hin und schlaf ein bisschen, mein Sohn«, sagte er. »Ich gehe mit Carl und Morgan hinaus, sobald wir einen Happen zu Mittag gegessen haben.«
Während Dad und Boyer sich auf der Veranda unterhielten, standen die beiden Polizisten da, drehten ihre Hüte in den Händen und wirkten in der Wärme unserer Küche deplatziert und bedrückt. Mom ging zum Sideboard in der Ecke hinüber und kehrte ihnen den Rücken zu, als wären sie gar nicht da.
»Muss letzte Nacht ja ein ganz schöner Vollmond gewesen sein«, sagte der Kleinere und suchte nach Worten, die unsere Küche in den Ort zurückverwandeln würden, in dem sie sich so oft von den Anspannungen ihres Berufs erholt hatten. »Leute, die durch den Busch gestreift sind, einfach so im Dunkeln herumgewandert. Sie würden es nicht für möglich halten, wen wir heute Nacht aufgegabelt haben, wer sich ohne Hosen herumgeschlichen und sich wortwörtlich eine Blöße gegeben hat.«
Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich warf einen Blick zu Mom hinüber. Sie stand am Sideboard und schnitt mit der Entschiedenheit zurückgehaltenen Unmuts das Brot auf. Die Bemerkung ging ins Leere. Ihr war nicht nach Klatsch und Tratsch aus der Stadt zumute. Sie fuhr herum, schob sich an ihnen vorbei und stellte den Brotteller unsanft auf den Tisch.
»Verstehen Sie doch, Mrs. Ward«, sagte der größere Beamte. »Sobald wir eine Suchaktion starten, sobald wir eine Vermisstenanzeige herausgeben, müssen wir den Zoll verständigen, die Behörden in den Staaten, das FBI, und wollen Sie die wirklich auf den Plan rufen, wenn dieser Bursche versucht, sich auf einen Besuch nach Hause zu stehlen?«
»Das hat er nicht versucht«, gab sie zur Antwort. Sie ging zum Herd und schickte sie, den Rücken ihnen wieder zugewandt, weg.
Zum ersten Mal wurde ich Zeuge, wie meine Mutter jemanden, der sich zur Essenszeit in unserer Küche aufhielt, nicht einlud, mit uns zu essen.
Die Klatscherei in einer Kleinstadt hat auch ihre Vorteile. Als sich die Nachricht verbreitete, dass River vermisst wurde, kamen einige Leute heraus, um bei der Suche zu helfen. Sehr wenige. Mom sagte immer, wer deine Freunde sind, wird klar, wenn sie sich in einer Krise blicken lassen.
Noch aussagekräftiger war, wer nicht auftauchte. Sie dachte laut über all die jungen Leute nach, all unsere Freunde, die herausgekommen waren, um auf unseren Pferden zu reiten, Partys am See zu feiern, draußen im Wintergarten zu tanzen, die an Wochenenden und in den Ferien praktisch auf unserer Farm
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