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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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hatte, in dem das süße Aroma von Marihuana in der Luft hing? Ich schob mir die Zigarette zwischen die Lippen und zündete ein Streichholz an. Ich hatte noch nie versucht zu rauchen, aber ich fragte mich, ob diese angenehm riechende Droge mich für eine Weile in einen Zustand der Gleichgültigkeit versetzen würde. Ich fragte mich, ob es das war, was er gefühlt hatte, wenn er dieses wohlriechende Kraut inhalierte; was er in der Nacht gefühlt hatte, als wir zusammen waren. Ich glaubte, in der Zigarette und in den Tagebüchern einen Hinweis zum besseren Verständnis finden zu können.
    Aber ich fand weder in dem einen noch in dem anderen eine Antwort. Das Marihuana verursachte mir keine anderen Gefühle als Übelkeit. Ich versuchte, auf die einzige Art zu rauchen, die ich kannte, nämlich an der Zigarette zu ziehen, wie ich es meinen Vater seit Jahren hatte tun sehen. Ich sog den Rauch ein und stieß ihn in einem wolkenartigen blauen Schwall aus. Als die dünne Zigarette ausging, zündete ich eine andere an und versuchte weiter, jene Rauchwölkchen zu erzeugen, die so problemlos aus dem Mund meines Vaters kamen. Drei Zigaretten brannten in einer Untertasse zwischen meinen kurzen Zügen und den Hustenanfällen herunter, während ich Rivers Tagebücher durchsah. Immer noch fühlte ich mich nur leicht benommen. Als meine Kehle brannte, gab ich es schließlich auf und konzentrierte mich darauf herauszufinden, wie seine Eintragungen geordnet waren.
    Rivers Tagebücher reichten in die Zeit vor seiner Flucht aus den Staaten zurück. Ich las über seine schwierige Entscheidung, sein Land, seine Familie zu verlassen. Ich überflog die Seiten und versuchte, irgendeinen Hinweis auf unsere Familie, auf mich zu finden. Doch während ich seine täglichen Einträge las, bemerkte ich, dass ich Probleme hatte, mich zu konzentrieren. Mein Augenmerk galt der gerundeten Handschrift, der Schönheit seiner Schrift. Ich schüttelte den Kopf und bemühte mich angestrengt um Konzentration. Aber ich fand es unmöglich, die Bedeutung seiner Worte mehr als ein paar Sekunden im Gedächtnis zu behalten. Durch den Schleier meines unter Schlafdefizit leidenden Verstandes fragte ich mich, ob sich Highsein so anfühlt, und schloss für einen Moment die Augen.
    Langsam zog die Nacht herauf, und das Licht in der Hütte war, als ich die Augen wieder aufschlug, schon ziemlich fahl. Ich zwang mich, den Nebel in meinem Gehirn zu durchdringen. Ich blätterte die Seiten des letzten Tagebuchs durch. Im Halbdämmer beeindruckte mich die Beklommenheit eines empfindsamen Menschen, der die Bedeutung seiner Gefühle, seiner Sexualität und seines Hingezogenseins zu Boyer zu erkunden sucht.
    Dann kam ich zu dem letzten Datum. 8. Juni. Die Nacht, in der ich in seinem Zimmer war. Ich spürte den Schmerz in seinen Worten, als er sich wegen seines mangelnden Urteilsvermögens Vorwürfe machte.
Was habe ich getan? Indem ich versuchte, die Wahrheit darüber, wie ich bin, zu verleugnen, habe ich alles kaputt gemacht. Ich habe sie betrogen, alle betrogen. Und mich selbst. Und warum? Ein unbedachter Augenblick der Neugierde? Wie unzulänglich ist das Wort Reue!
    Ganz unten auf der Seite stand in winziger Schrift, als hätte er versucht, alle Wörter auf diesen Platz zusammenzudrängen, sein letzter Eintrag.
    Verblüfft las ich die Worte, aus denen hervorging, dass er, als er aus dem Fenster blickte, während ich sein Zimmer verließ, meine Mutter sah, die sich unter die Molkereitreppe duckte.
    Meine Mutter? Meine Mutter war da?
    Es stimmte also. Sie wusste, dass ich in jener Nacht in seinem Zimmer war. Aber warum war sie da?
    War es möglich, dass auch sie …? Nein, das konnte nicht sein. Undenkbare Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Ich erinnerte mich an anonymes Gewisper am Telefon, an hässliche Beschuldigungen gegen alle in unserer Familie, gegen unsere Kommune, in der die freie Liebe praktiziert werde, gegen River. In meinem Kopf wirbelte alles durcheinander.
    Plötzlich blitzten Scheinwerfer im Fenster auf. Boyer war zurück. Ich sprang auf und warf die Asche, die verbrauchten Zündhölzer und die Kippen zusammen mit dem Rest des Marihuana in den Müll unter dem Spülbecken, dann wusch ich in aller Eile die Untertasse ab. Und nahm die Tagebücher an mich.
    Boyer kam durch die Tür, abgekämpft, erschöpft und irgendwie kleiner aussehend. Er schnupperte in der Luft und schüttelte müde den Kopf. Dann erblickte er die Tagebücher in meinen Händen.
    »Die

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