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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Stocker zog seinen Kamm aus der Brusttasche. »Sagen Sie mal, macht der Czerwinski das öfter, daß der hier herumlungert?«
    » Was? «
    »Als ich heute morgen ankam, stand der da.« Seine Hand mit dem Kamm machte eine unbestimmte Bewegung zum Fenster hin. Ina Henkel folgte dem Kamm mit den Augen, täglich sah sie ihn zehnmal, zwanzigmal, diesen Kamm.
    Sie räusperte sich und fragte: »Wo?«
    »Wo der stand? Sag ich doch: unten vorm Gebäude. Dreht sich gleich um, wie er mich sieht, hat wohl was gegen mich. Dabei hab ich ihn sogar gegrüßt.«
    Sie faltete die Zeitung zusammen und warf sie in den Papierkorb. »Hat er früher öfters gemacht.«
    »So?« Er ließ den Kamm sinken.
    »Der stand einfach da.« Sie drehte den Kopf zum Fenster. »Nach der Befragung. Stand er ’ne Woche lang oder so vorm Haus, zu jeder möglichen und« – sie kam nicht hin mit ihrem Atem – »unmöglichen Zeit.«
    » So war das.« Er schlug den Kamm auf seinen Handrücken, ein helles Geräusch. »Nett. Nahezu romantisch.«
    »Ja, er ist so.« Sie sah aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. »Der mag Kerzen und Rosen und Schnulzen. Alles, was ich nicht mag. Na ja, manchmal mag ich’s schon.«
    »Jetzt sagen Sie mir aber bloß noch –« Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, rutschte herum, bis er richtig saß. »Was ist da passiert bei der Vernehmung?«
    »Das war keine Vernehmung, sondern eine Zeugenbefragung. Wobei sich herausgestellt hat, daß er noch nicht mal Zeuge war, sondern nur –«
    »Schön, schön, aber Sie haben sich doch wohl nicht während der Befragung in den verknallt. «
    »Blödsinn.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Ich hol mir mal was zu essen.«
    »Ich hätte das doch merken müssen«, sagte er. »Sitzt der hier und –«
    »Soll ich Ihnen was mitbringen?«
    »Sie sind auf allerdünnstem Eis.«
    »Wirklich? Ist das dünner wie dünn? 1st ja furchtbar.« Sie knallte die Tür von außen zu, hörte seinen Protest. Auf dem Klo nahm sie neue Augentropfen, dann ging sie ins Treppenhaus, holte das Handy aus der Tasche und tippte die Nummer von Czerwinskis Mutter.
    »Ja, ich freue mich!« schrie die Frau ihr ins Ohr, es war das erste Mal, daß sie ihre Stimme hörte. »Er ist aber nicht da.«
    »Wann kommt er?« Sie sprach viel zu leise, und Frau Czerwinski brüllte: »Bitte?«
    »Wann –« Blöd. Wie ein Gör, wie ein dreizehnjähriges Gör. An einem Sonntagmorgen, als sie kaum wach war, hatte er sie in die Arme genommen und ein Liedchen gesummt. Der ganze Tag war dann so gewesen, fröhlich, wie sein Lied.
    »Kommen Sie doch mal vorbei!« rief Frau Czerwinski. »Täßchen Kaffee trinken.«
    »Ja, mach ich«, murmelte sie. Glück bedeutete vielleicht, gemeinsam die Dämonen zu besiegen, alle Gespenster. Verliebt sein hieß, ihnen ins Gesicht zu lachen. Irgendwas in der Art mußte es sein.
    »Ich muß Schluß machen«, sagte sie.
    »Alles Gute!« rief Frau Czerwinski.
    Sie schob das Handy in die Tasche zurück und blieb stehen, den Kopf gegen die Wand gelehnt, bis sie Leute hörte. Hallende Schritte über ihr, jemand grüßte, jemand grüßte zurück und erzählte etwas von einer Messerstecherei am Hauptbahnhof.
    Die Tür war offen. Stocker sagte: »Meldung.«
    »Was? Wieso?«
    »Wir müssen los.«
    »Der Kissel«, sagte sie, »Der Kissel ist doch dran.«
    »Der Kissel ist krank.«
    »DER IST SCHON WIEDER KRANK?«
    »Schreien Sie nicht. Nierenbeckenentzündung.«
    »Ja und?« Sie rannte zum Fenster, nahm ihre Jacke und schlug mit der flachen Hand auf sie ein. »Ich hatte letztens diese –«
    »Ja, ja«, sagte Stocker. »Nehmen Sie Ihren Heldenmut nicht als Maßstab, ich weiß, was Sie hatten.«
    »Eierstockentzündung, wieso kriegen Sie so was nicht raus?« Sie kramte nach den Autoschlüsseln. »Ist das was Unanständiges?«
    »Der Kissel übernimmt das sofort, wenn er wieder da ist.« Stocker blieb an der Tür stehen. »Muß er. Pagelsdorf ist bis heute abend in Wiesbaden. Es ist – also, ich denke, wir fahren zu Ihnen nach Hause.«
    »Zu mir nach Hause«, wiederholte sie. »Wirklich prima Idee. Warum?«
    »Lenaustraße.«
    »Da wohne ich.« Sie starrte ihn an.
    »Sag ich ja.« Er wich ihrem Blick aus. »Das ist dumm, das ist jetzt einfach Pech.«

49
    Hieber stand vor dem Haus, als sie kamen. Er hatte alles getan, Kollegen gerufen, abgeriegelt, Nachbarn beruhigt, jetzt ging er zum Wagen und drehte das Signallicht aus.
    Das alles war Routine, auch als er sagte: »Weibliche Leiche« und hinzufügte: »Unschön.« Manche

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