Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
würde sie jetzt berühren. Zur anderen Seite gehen, herüberlangen in die Totenwelt und ihre Finger auf dieses Gesicht legen, das sie kaum je angesehen hatte, das hin und wieder schemenhaft erschienen war als Schatten hinter einem Fenster.
    »Im Wasser!« hörte sie Stockers Stimme. Er konnte sich nicht beruhigen. »Dieses Duftzeug schwimmt im Wasser? «
    »Wegen dem Geruch wohl«, sagte Hieber. Sie hörte ihn seufzen, bevor er murmelte: »Kaschiert.« Als sie den Kopf hob und ihn ansah, war es einen Augenblick lang so, als würden sie jetzt zusammen kichern, ohne es richtig zu wollen, dann wandte er sich ab, und sie ließ ihre Hand durchs Wasser gleiten, hin zu der Frau und ihrem zerstörten Gesicht. Ihre Nase war gebrochen, wie bei Bischof. Verzogene Lippen mit eingerissenen Mundwinkeln. Ein Wangenknochen sprang hervor wie eine Beule, die in einem Gesicht nichts zu suchen hatte.
    »Diese Dinger –« Stocker war neben ihr und holte das weiße Plastik aus der Wanne.
    »Kühlakkus«, sagte sie.
    Er stöhnte. »Sie sollte also soweit wie möglich frisch gehalten werden, man glaubt es ja nicht. Meine Frau stopft so was in die Einkaufstüte, wenn sie Tiefgefrorenes kauft.«
    »Na schön«, sagte Ina Henkel. »Und der denkt sich hier, er könnte sie mit Kühlakkus und dieser Plane – was denkt der sich eigentlich?«
    Stocker seufzte. »Ich hab’s schon mehrmals gesagt: Kein Mensch wird je wissen, was die sich so alles denken. Trotz aller Psycho- und sonstiger Logien ist das unerforschtes Land.« Er sah zu, wie sie ein paar Bindfäden löste und an dem braunen Klebeband zog.
    »Und warum packt er sie ein?« murmelte sie. »Damit er sie nicht sehen muß? Das würde bedeuten, er hat sich noch ’ne Weile hier aufgehalten, oder?« Sie sah Hieber an. »Haben Sie schon mal geguckt? Ist was durchwühlt worden?«
    »Nein«, sagte Hieber. »Das nicht. Aber im Schlafzi –«
    »– er wird sich wahrscheinlich gedacht haben, daß er sie mit der Verpackerei luftdicht macht. Abteilung Volltrottel.« Sie sah von Hieber zu Stocker. »Paßt dann irgendwie zu den Kühldingern und dem Duft. Damit sie so lange wie möglich nicht entdeckt wird. Was dann wiederum heißt, daß er sie gut kannte und wußte, daß vielleicht keiner kommt. Haben wir jetzt, scheint’s, gepachtet, Leute, die einfach liegen bleiben.« Wo die Folie sich nun löste, sah sie etwas Dunkles, das die Frau trug, etwas aus Wolle. Sie richtete sich auf.
    »Und warum läßt er das Wasser laufen?« fragte Stocker. »Wenn er sich sonst soviel Mühe gegeben hat?«
    »Fahrig wohl. Hat’s nicht gemerkt, oder? War’s voll aufgedreht?«
    »Nein«, sagte Hieber. »Wenig, aber stetig.«
    Stocker massierte sich den Rücken. »Verdammt, Frau Henkel, Sie riechen genauso.«
    »Möglich.« Sie sah auf ihre Hände. »Ich mag’s manchmal ganz gern, aber es sind – mmh – Phasen. Abends mag ich’s nicht, obwohl meine Freundin meint, man könnte es nur abends, aber –« Sie preßte die Fingerspitzen aneinander, Wasser tropfte. »Sieht nicht so aus, als war sie vor paar Stunden verstorben, nicht?«
    »Im Leben nicht«, sagte Stocker. »Sehen Sie die Leichenflecken?«
    »Es war auch dunkel bei ihr. Am Fenster, meine ich, bei ihr am Fenster. Die letzte Zeit.«
    »Sie sollten gar nicht hier sein«, sagte Stocker.
    »Das sagen Sie bitte dem Kissel.« Sie streifte die nassen Handschuhe ab und nahm neue. Vor ihr die aufgerissenen Augen; überallhin kam der Tod und drängte sich auf. Sie sah hin. Und sie blieb, ein grünes Licht in irgendeinem Teil des Hirns, Hilmars grüne Augen vielleicht und die Gelassenheit in ihnen. Sie blieb, bis die Spurensicherung kam und ein Pathologe, den sie kaum kannte. Er stieß sie in den Rücken und rief: »Verzeihung, wollen Sie bei ihr Händchen halten? Machen Sie mal Platz.«
    Der Duft folgte ihr, als sie langsam durch den Flur ging. Oder er folgte gar nicht, war schon da, Hase und Igel, der Duft war in jedem Raum, in den Wänden, auf den Möbeln. Irgendwo das Ticken einer Uhr, irgendwo war sie und tickte und zeigte sich nicht. Sie sah die Uhr auf der Kommode stehen. Na also.
    Nichts auf dem Boden, alles aufgeräumt. Als sie den Kopf hob, sah sie ihr graues Kostüm.
    Sie blieb an der Tür stehen; das graue Kostüm hing auf einem Bügel am Schrank. Sie schloß die Augen, öffnete sie wieder; so hing es auch bei ihr, dieses Kostüm, bevor sie es weghängte oder bevor sie es anzog: auf einem Bügel am Schrank. Oder das schwarze Kleid: es konnte passieren,

Weitere Kostenlose Bücher