Mimikry
Strukturumwandlung freisetzen mußte und das ist schon ’ne Weile her. Seither verliert sich gewissermaßen ihre Spur.«
»Wegen Strukturumwandlung freigesetzt«, wiederholte Pagelsdorf. »Also entlassen, weil zu alt.«
»Ende Dreißig war sie. Nee, angeblich war sie bißchen langsam – er nannte das tüddelig – hat aber eine gute Abfindung bekommen. War in der Buchhaltung. Übliche Kollegenkontakte, nichts Aufregendes.« Stocker hob den Kopf. »Wollten Sie nicht ins Theater?«
Pagelsdorf nickte, sah auf die Uhr. »Sind jetzt beim zweiten Akt. Weiter?«
»Ich hab das alles schon mal erlebt«, sagte Ina Henkel. »Bei der Bischof. Über die Jung erzählen sie dasselbe, nette Frau, ziemlich ruhig, lief so mit. Hat vielleicht mal bei der Betriebsfeier zuviel getrunken, war aber auch alles. Hat mal auf ’ne Heiratsanzeige geantwortet, war dann enttäuscht, weil der Mann ’ne Glatze hatte. Also eigentlich trug er einen Fifi, der ist ihm aber ins Rutschen gekommen, als es zur Sache ging. Alles furchtbar komisch, die schmeißen sich heute noch weg.« Sie starrte Pagelsdorf an. »Hat sie angeblich so der Kollegin erzählt.«
»Entschuldigung, Frau Henkel, ich hab Sie jetzt nicht – was bezeichnen Sie mit – ehm –«
»Fifi. Perücke, Toupet. Haarteil, Zweitfrisur.«
»Nennt man das so?«
Sie hob die Schultern. Als sie bei der Sitte war, hatten die Huren das so genannt, Vati mit sein Fifi aufm Kopp. Mit den Huren konnte man Tränen lachen, wenn sie gut drauf waren.
»Lesbisch war sie also nicht«, sagte Stocker.
»Wieso sollte sie?« fragte sie.
»Weil ich nach einem Grund suche, warum die Ihnen aufs Bett geguckt hat.«
»Hören Sie auf, Mensch!«
»Ja, haben Sie ’ne Erklärung?«
»Rad ab. Fernsehprogramme haben nicht genügt. Vielleicht war sie nicht verkabelt. Dabei denk ich, daß sogar das Gegreine beim Mosbach noch spannender ist als mein Leben.«
»Wenn ich rekapituliere –« Pagelsdorf setzte sich neben sie. »Sie beobachtet Sie durchs Fernglas, sie kauft sich Garderobe, die Sie ebenfalls besitzen und drapiert sie merkwürdig in den Räumen.«
»Wenn wir den Täter finden«, murmelte sie, »kann der es uns vielleicht erzählen.« Sie wollte ihn jetzt nicht ansehen, es war unangenehm. »Ich tippe mal auf Beziehungstat. Vielleicht hat sie für ihn ’ne Modenschau gemacht, weiß man’s?«
»Beziehungstat«, wiederholte Pagelsdorf.
Sie nickte. »Nichts entwendet, soweit man das sehen kann, kein Eindringen, dann der Umstand mit der Leiche, ich meine, der verpackt sie von Kopf bis Fuß und tut alles, damit sie nicht – na, Sie wissen schon – so schnell bemerkt und aufgefunden wird. Andere Leute vergraben ihre Leichen, er versucht sie in der Wanne zu konservieren.«
»Stümperhaft«, sagte Stocker. »Äußerst stümperhaft.« Er lachte. »Vielleicht gefielen ihm ihre neuen Sachen nicht. Hat er rot gesehen.«
»Offenbar kein Sexualdelikt.« Sie rollte ihren Stift zwischen den Fingern hin und her. »Der vorläufige Befund spricht von Frakturen Schädel und Gesicht, was ist das eigentlich für ’n Pathologe?« Sie warf den Stift auf den Tisch. »Der rotzt mich an, weil ich den vorläufigen Befund gleich haben wollte, außerdem raucht er neben der Leiche, das finde ich –«
»Eben«, sagte Pagelsdorf.
»Was meinen Sie?«
»Den Befund. Diesen nicht gerade üblichen Befund hatten wir die letzten Male auch. Schädel- und Gesichtsfrakturen, die Leute waren zugerichtet. Fried und Bischof, nicht? Kein Raub, kein Eindringen in die Wohnung, kein Sexualdelikt.«
»Das glaub ich nicht«, sagte sie. »Fried und Bischof waren doch nicht so verpackt, die lagen offen rum – ich meine, die lagen einfach da.«
»Bitte überprüfen Sie das.« Pagelsdorf zog sein Jackett an.
»Überprüfen.« Ina Henkel schüttelte den Kopf. »Wir sollen unseren Gabriel wieder mit Samthandschühchen anfassen und fragen, ob die Jung womöglich in der Talkshow war?«
»Ganz recht«, sagte Pagelsdorf.
»Langsam komme ich mir blöd vor«, sagte sie.
»Müssen Sie nicht.« Pagelsdorf räusperte sich. »Frau Henkel, hatten Sie den Eindruck, diese Frau Jung – wie soll ich sagen, Sie war doch ganz offenbar ein wenig auf Sie fixiert, nicht?«
»Ein wenig«, wiederholte sie. »Glotzt mir mit dem Fernglas ins Schlafzimmer. Ein wenig schon, ja.«
»Nun, ich kann mir nicht vorstellen, auch wenn der Kollege Stocker diese Andeutung machte« – Pagelsdorf steckte beide Hände in die Jackentasche, als suche er nach Worten da
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