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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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drin – »na, daß sie professionell geguckt hat, verstehen Sie mich? Ich kann mir nicht vorstellen und es gibt auch keine Hinweise, daß Sie ausgeforscht werden sollten. Dazu haben Sie momentan gar nicht die Fälle, das wäre – nun, ich weiß es nicht. Es besteht ja auch die Möglichkeit, daß der Täter selbst – Sie verstehen mich?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Daß der Täter es war, der geguckt hat.«
    Sie sah ihn an, dann schüttelte sie langsam den Kopf.
    »Wir wissen gar nichts«, sagte Pagelsdorf. »Aber wir sollten nichts auslassen, wir prüfen auch diese Richtung. Der Kollege Kissel wird das übernehmen.«
    »So«, sagte sie. »Der Kissel.«
    »Sie haben da nie was bemerkt?«
    »Nein, wer kommt denn auf so was? Ich meine, ich kümmere mich nicht um Nachbarn oder so, ich denk da nicht dran.«
    »Sollten Sie aber tun in Zukunft«, sagte Stocker. »Sie hatten sicher auch mal Ihren Freund zu Besuch?«
    Pagelsdorf fuhr herum. »Verkneifen Sie sich das bitte.«
    »Na hören Sie –«
    »Ich bitte darum.«
    »Tja«, murmelte Stocker. »Es ist spät.«
    »Vielleicht zieh ich da weg. Bißchen Neuordnung an allen Fronten.« Ina Henkel sah auf ihr Notizbuch. Jetzt waren es zwei neue Männchen, mit dürren Ärmchen und Beinchen und eckigen Köpfen. Sie hielten einander umschlungen und summten vielleicht ein Liedchen dabei.

53
    Biggi sah nach, wie sauber das Hotelzimmer war. Es war nicht direkt unsauber, doch wußte sie nicht, was sie hier sollte. Das passierte. Sie tat etwas und sah mit einem Mal, was los war. Als hätte sie vorher nicht überlegt, als hätte etwas in ihr drin gehandelt. Hier jetzt dieses enge, dunkle Zimmer mit einer Nische für die Dusche und einem knarrenden Bett. Den Mann mit Namen Czerwinski, den hatte sie sehen wollen. Sehen, wie er war. Irgendwas hatte sie ja sagen müssen, und was sagte man einem Portier? Daß man ein Zimmer wollte.
    Doch sie wollte ja auch nicht nach Hause und nicht in die Lenaustraße, wo es nichts mehr zu sehen gab außer Lügen und Verstellung und wo die Frau noch immer lag.
    Es war soviel passiert, einen weiten Weg war sie gegangen, einen Weg voll böser Bilder. Eingefrorene Bilder, ein aufgerissener Mund, ein erhobener Arm, schützend vor ein Gesicht gehalten, sie mußte aufpassen mit ihren Gedanken. Manchmal geriet alles durcheinander, und man stand vor irgendwelchen Trümmern und wußte kaum noch, was zerbrochen war. Es gab Gedanken, die durfte man nicht denken, gab Bilder im Kopf, die da nicht drin sein durften.
    Doch manchmal kam alles zurück und drängte sich wieder auf. Es war ja nicht so, daß sie Dinge wirklich vergaß, sie war ja noch nicht alt und blöd. Man mußte es nur ungeschehen machen, es beiseite schieben.
    Aber Theresa, sie hatte Theresa gesehen. Solange das Gesicht bedeckt gewesen war, hatte sie an Theresa gar nicht mehr so oft gedacht. Dann hatte sich die Folie gelöst – wie war das gekommen? –, dann hatte sie ihr Gesicht gesehen, zerbrochene Knochen und wächserne Haut, Theresas Gesicht – nicht dran denken, nicht denken.
    Splitter, kleine Teilchen kamen ins Gehirn, mußten wieder raus, Theresas Schrei. Gehen Sie weg, Sie haben gelogen, alles drängte sich auf, und sie konnte nicht begreifen, daß sie das angerichtet hatte, Julias Gesicht.
    Nein, Martin. Martins Tränen, eine Memme, ein Dreck. Als sie ihm sagte, daß er nichts wert war, hatte er bloß genickt. So einer. Nickte dazu. Es gab solche Leute. Manchmal starben sie und blieben liegen und verpesteten die Welt.
    Julias Lachen, Du lügst doch, du lügst!
    Sie blieb stehen. Sie war die ganze Zeit herumgelaufen in diesem Zimmerchen, und vielleicht hörten die Leute darunter das Getrampel.
    Aber es gab ja gar kein Zimmer unter ihrem, unter ihrem Zimmer war die Bar. Geräusche kamen hoch, Gläserklirren, Stimmen. Als sie das Zimmer verließ, stand sie ewig noch draußen vor der Tür und lauschte, dann ging sie los, langsam immer weiter, bis zu der gläsernen Tür und den Menschen und der Bar.
    Eigentlich war es keine Bar. Eher eine Art Bahnhofslokal mit abgeschabten Plastikstühlen, ein merkwürdiger Geruch nach Nieren, wenn man sie zubereitete, hing in der Luft. Ein Ausländer nickte ihr entgegen, und sie bestellte einen Weißwein, trocken, das war nicht verkehrt.
    Vorsichtig trinken, kleine Schlucke und nur ein wenig umherschauen, damit es nicht aussah, als kenne man sich nicht aus. Die meisten Leute lasen Zeitung, hier und da saßen zwei zusammen an einem Tisch. Als sie den Kopf drehte,

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