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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Talkshows.«
    »Was meinen Sie?« Er hatte wieder zum Barkeeper geguckt.
    »Die Talkshows«, wiederholte sie. »Die armen Schweine da drin.«
    »Mmh«, sagte er. »Die guck ich schon mal gar nicht.«
    Sie nickte. »Die erzählen der Welt ihren Dreck und keiner will es wissen. Die blamieren sich doch bloß. Die haben sonst keinen, dem sie was erzählen. Die Redaktionen, die die Shows produzieren, lachen sich kaputt über die.«
    »Früher hab ich sie mal geguckt«, sagte er. »Wollte wissen, was sie so alles reden.«
    Lieb konnte er sein, richtig zärtlich, das hatte sie gesehen. Seine Hände vor ihr auf dem Tresen konnten streicheln. Schlanke Finger. Konnten viel machen. Auf dem Körper der anderen hatte er sie gehabt, überall da, und das mußte ihr gefallen haben, denn sie war nicht ruhig liegengeblieben und hatte seinen Kopf auf ihren Bauch gedrückt und die Hände waren immer noch nicht zur Ruhe gekommen, hatten sie noch gestreichelt, als sie sich längst voneinander gelöst hatten, aber das machte er jetzt nicht mehr mit ihr.
    Biggi hatte Julia von ihm erzählt, von so einem Mann, der da war und blieb. Daß sie ihn hatte, Julia hatte ihn ja nicht. Gedanken im Kopf, Erinnerungen, nicht alles durfte man denken, aber Julia hatte ein böses Lachen gehabt, DU, hatte sie Biggi kreischend gefragt, HAST EINEN LOVER?
    Das hatte sie aber nicht gesagt, sie hatte Freund gesagt, einen Freund.
    Und Julia hatte laut gelacht, ihre Stimme jetzt hier im Raum, hier und im Kopf und überall sonst, LÜG DOCH NICHT, ihre Stimme, ihr Lachen, DU BIST DOCH ’NE GANZ ARME SAU.
    Ganz arme Sau. Julia. Ihre eigenen Lügen hatte sie in ein Tagebuch geschrieben, Träume von Gabriel, die sich nie erfüllten, und dann lachen und sagen: lüg doch nicht.
    Nicht alles durfte man denken, sich nicht an alles erinnern, aber wie Julia ganz klein und erbärmlich gewesen war, hatte sie aufgehört. Hände vor dem Gesicht. Geschrien. Mit allem aufgehört, dem Lachen, dem Leben.
    »Ich muß wieder.« Er reckte sich und gähnte erneut.
    »Haben Sie –« Sie holte Luft. »Müssen Sie die ganze Nacht?«
    »Ja, ja, hab zwei Schichten.« Er hatte sich schon abgewandt, drehte sich noch einmal um, sah sie noch einmal an.
    »Hintereinander?« fragte sie. »Ich meine –«
    »Was? Ja, ja, Nachtschicht jetzt.« Er winkte dem Barmann, dann ging er hinaus.
    Die ganze Nacht war er da, als wäre es Bestimmung. Wie ein Nachhall seine Stimme, wie etwas Wärmendes sein Blick, der auf ihr ruhte.
    Ihre Sachen. Was sie brauchte, waren die Sachen. Wenn sie die hatte, war es gut. Die Henkel sah wie eine Nutte darin aus, gaukelte die Diva vor, weil sie sich an einem Polizeiausweis festhalten konnte, und dann fiel sie zusammen und zerbrach. Mehr war es nicht. Es war ein Irrtum gewesen. Er wußte das jetzt auch.
    Nachdenken. Das Kostüm vielleicht, das sandfarbene Kostüm. Vielleicht fand sie noch Schuhe bei Theresa. Wenn sie langsam ging, konnte sie vielleicht andere Schuhe tragen, sie brauchte die Sachen. Es war ja nicht umsonst gewesen, nicht alles umsonst.

54
    Ina Henkel parkte ihren Wagen vor der Dönerbude. Sie knallte die Tür zu – vielleicht zu laut. Stocker erzählte das dauernd; zu laut, zu hektisch, Dinge, die sich ändern ließen, die Liste in ihrem Kopf wurde länger. Umziehen, im Streit nicht bösartig werden, nicht wahllos Düfte kaufen, die inneren Bilder töten, sehen und vergessen, wenn es an der Zeit war zu vergessen. Leiser sein. Man müßte sie in Form bringen, die Liste, gliedern. Das Wichtigste zuerst.
    Langsam ging sie über die Straße. Kaum Lichter, die Leuchtreklame des Hotels Olymp war noch immer nicht repariert. Ganz nah ein Klicken, als würde eine Waffe entsichert. Sie blieb stehen; ein Mann mit Feuerzeug im Lichtkegel eines wartenden Wagens. Sie schüttelte den Kopf, und er sah herüber und lachte. Vor dem Hotel der Geruch nach sauren Nieren; der Barkeeper stand in der Tür, als müsse er sich davon erholen.
    Czerwinski hing überm Tresen und beguckte sich das Holz. Niemand in der Halle, vor einem Tisch mit Zeitschriften ein umgekippter Stuhl. Er hob nicht den Kopf, als sie näher kam, dachte vielleicht, der Barmann käme zurück. Er sah so müde aus; sie legte eine Hand auf seinen Arm und sagte: »Hey.« Sie wollte noch mehr sagen, aber es kam nicht heraus.
    Eine ganze Weile sah er sie an, tanzendes Licht in seinen Augen, bevor er fragte: »Hast du mich abgehört?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich hab dich tausendmal angerufen.« Er seufzte,

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