Mimikry
dann kniff er die Augen zusammen und murmelte: »Verzeihung.«
»Was?« Sie sah ihn an, ohne ihn richtig zu sehen. »Gerade letztens lief diese Benz in so ’ner Hose rum, die ich auch hab, ich meine, das gibt’s. Hätte sie lassen sollen, hat sich keinen Gefallen damit getan –« Sie schüttelte den Kopf.
»Aber in dieser Masse hier ist es ein bißchen viel, nicht?« Er blieb vor ihr stehen.
»Ja. Das ganze Zeug, auch die Farben –«
»Warum drapiert die das alles?« Er beugte sich über den Stuhl, auf dem das schwarze Kleid lag. »Das sieht ja aus wie die Garderobe bei ’ner Modenschau.«
»Hab ich auch manchmal so«, murmelte sie. »Das ist es ja – ich meine, ich bin oft zu faul, wegzuräumen.«
Er sah sie an, als wolle er etwas sagen, dann schüttelte er den Kopf.
»Sie hat sich vielleicht erfreut an den schönen Sachen«, murmelte Hieber, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. »Hat sie womöglich neu gekauft und wollte sie erst anschauen.«
»Ah ja«, sagte sie. »Und die Anregungen holt die sich beim Blick durch das Dings da – guckt sie mir beim Anziehen zu, das ist ja ekelhaft. «
»Sie haben ihr vielleicht gefallen«, sagte Hieber. »Und da wollte sie sehen, was Sie so – na, tragen. Quasi aus Interesse. Ich meine, Ihr Geschmack wird ihr gefallen haben, womöglich war sie krank im Kopf.« Er hustete laut. »Womit ich nicht sagen will, daß jemand krank ist, dem Ihr Geschmack –« Jetzt hatte er sich verheddert, sah zu Boden.
»Ist okay.« Sie berührte ihn am Arm. »Die hatte ein Rad ab, was sonst. Außerdem – na, es wird ihr wohl auch alles bißchen eng gewesen sein, nein? Ich denke mal, die hatte ’ne Größe mehr.«
»Glotzt in die Wohnung einer Kriminalbeamtin « , rief Stocker. »Wer weiß, was dahintersteckt.«
»Was denn, wollen Sie das dem LKA geben?« Sie stöhnte. »Der Täter hat vielleicht auch noch mal geguckt, wenn ich mir das vorstelle –« Noch einmal guckte sie aus dem Fenster, aber nicht mehr durch dieses Ding, sie wollte es nicht mehr berühren. Das Haus, in dem sie wohnte, sah fremd aus. Als sie das Zimmer verließ, verfolgte sie der Duft, doch es war kein Duft mehr, nur Gestank.
Im Bad zog der Gerichtsmediziner die Tote aus der Wanne. Sie trug einen braunen Pullover und eine helle Hose, das gehörte zu den Sachen aus dem Schrank, den anderen Sachen.
»Riecht, als war ’n Bordell in die Luft«, sagte der Pathologe.
Über dem Waschbecken eine Ablage mit Zahnputzzeug, Shampoo und Cremes. Ganz rechts der leere Flakon. Nur Fahrenheit, sonst hatte sie kein Parfüm da stehen. Vorsichtig nahm sie es herunter und legte es in eine Klarsichthülle der Spurensicherung. Hieber stand im Halbdunkel des Flurs und sah ihr zu.
»Ich hab ’ne Menge Düfte«, sagte sie. »Das muß Zufall sein. Oder? Was meinen Sie? Die kann doch nicht hinter mir her, im Supermarkt oder so, und riecht – nee, das ist so bescheuert. «
»Manche sind komisch«, murmelte Hieber. »Die setzen sich was in den Kopf–« Er legte ihr kurz die Hand auf die Schulter, dann nahm er seine Mütze ab und setzte sie gleich wieder auf.
51
An das Hotel konnte sie sich erinnern, an seine Leuchtreklame und die Dönerbude davor. Biggi hatte das alles erst ein Mal gesehen, doch sie wußte noch den Weg und wo man parken mußte. Die meiste Zeit vergaß sie alles, weil sie nicht denken wollte, jetzt war aber soviel Kram im Kopf, der sich nicht vertreiben ließ. Merkwürdiger Kram, der Haß. Der Haß tat weh, bohrte und biß wie ein tollwütiges Tier. Oder es war etwas anderes, war Trauer, etwas Schwarzes, das ihr den Atem nahm.
Alles war falsch gewesen. Manche spielten ein Spiel mit der Welt, Schwächlinge. Lügner, die sich maskierten. Die so taten, als ob. Die sich tarnten und die Welt betrogen. Etwas darstellten, dann nichts waren.
Nur eine kleine Polizistin. Sie war ja noch nicht einmal Hauptkommissarin, was sie doch alle waren, sie war noch eins darunter. Biggi hatte ihr vertraut, aber sie war ja bloß Dreck.
Sie stellte den Wagen ab, ließ die Krücke auf der Rückbank liegen und ging mit kleinen, schlurfenden Schritten auf den Eingang zu. Die kaputte Leuchtreklame ließ die Buchstaben zittern, HOTL OLMP.
Den ganzen Tag hatte sie die Finger laufen lassen, Rechnungen getippt und das Archiv geordnet, Zeitungsmeldungen ausgeschnitten, aufgeklebt und abgeheftet, sie hatte ihre Arbeit gemacht. Sie machte immer ihre Arbeit. Noch nie hatte sie sich krankgemeldet, wenn sie kein Fieber hatte, weil sie nicht
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