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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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ja?«
    Stocker hustete. Meurer sagte: »Wir haben früher auf dem Land gelebt, da war alles gut mit uns.«
    Stocker spreizte zwei Finger, machen Sie weiter. Ina Henkel sagte: »Sie müssen natürlich rechtzeitig aufhören, nicht?«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Ich nicht.« Meurer schüttelte den Kopf. »Früher sind wir sonntags in den Palmengarten. Es ist schön da mit den Pflanzen.«
    »Aber Sie wollten gar nicht aufhören.«
    »Nein.«
    »Sie wollten nicht?«
    »Nein – doch – sie mag Rosen. Ich kann sie schlecht auseinanderhalten, Rosen und Tulpen.«
    »War es ein Handtuch? Oder ein Schal?«
    »Nein, nein. Meine Frau hat eine Kakteensammlung, haben Sie die gesehen? Die müssen immer hell stehen, weil es ja eigentlich Urwaldpflanzen sind. Oder nein, kommen aus Mexiko. Mexiko. Ich weiß nicht, was ist mit den Kakteen jetzt?«
    »Sie hat viel geschrien. Nachbarn sagen, es seien Angstschreie gewesen.«
    »Nein, nein.«
    »Sie haben viel ferngesehen, Herr Meurer.«
    »Was?«
    »Ketten, Peitschen, Drosseln, das ganze Zeug. Da ist Ihnen eingefallen –«
    »Nein.« Er lächelte. »Veilchen mag sie nicht. Veilchen hab ich ihr nie mitgebracht. Sie sagt, Pflanzen leben. «
    »Haben Sie mal die Kippen gezählt, die Sie ihr auf den Oberschenkeln ausgedrückt haben?«
    »Nein.«
    »Nicht?«
    »Ich habe – Ihnen gesagt –«
    »Ihre Frau hat ihrer Schwester gesagt, daß Sie sie ständig durchprügeln, Herr Meurer.« Ina Henkel legte ein Foto von der Leiche auf den Tisch, Meurer sah nicht hin. Die Haut von Meurers Frau war blau und klebrig gewesen, auf dem Foto konnte man das nicht erkennen. An ihrer geschwollenen Zunge hing Schmutz vom Teppich. Die Schwester der Meurer hatten sie nicht aus dem Zimmer bekommen, sie hatte ein Fenster geöffnet, sich herausgelehnt und geschrien.
    Meurer schlug sich die Faust gegen die Stirn. »Wir haben gestritten. Manchmal. Den neuen Wagen mochte sie nicht. Sagte, den können wir uns gar nicht leisten. Pflanzen hatten wir immer genug, haben Sie gesehen? Sie sagt, Pflanzen wirken viel mehr, wenn sie dicht zusammen stehen. Nicht so verstreut.«
    Ina Henkel spreizte zwei Finger, weitermachen. Stocker reagierte nicht. Sie preßte die Lippen zusammen, sagte: »Ihre Frau – ehm.«
    »Sie heißt Gisela. Nein, das stimmt nicht, was Sie sagen, es hat keinen Spaß gemacht, hat keinen –« Meurer begann, vor- und zurückzuschaukeln. »Mein Schwager hat gesagt, was macht ihr denn mit so ’nem Wagen? Der hat sich aufgespielt.« Er sprang auf, warf seinen Stuhl um und rannte direkt in Stockers Arme. Eine Weile standen sie da wie gute Freunde, die einander trösten, dann sagte Friedhelm Meurer: »Nein, nein. Ich wollte das nicht. Ach was«, und er kicherte wie ein Kind, das irgendwo herausplatzt, wo es nicht darf. Hundegebell draußen. Meurer rutschte an Stocker herunter, machte sich schwer. Ina Henkel nahm ihr Notizbuch und ging in ihr Zimmer zurück.
    Julia Bischof saß am Schreibtisch und prostete ihr zu. Zwischen drei Fingern hielt sie ein Sektglas, zwei lachende Männer neben ihr. Geburtstag Chef stand auf der Rückseite des Fotos, des einzigen, das sie in ihrer Brieftasche gefunden hatten. Ina Henkel legte die anderen Fotos daneben, Zoom und Weitwinkel, Bischofs zertrümmerte Nase, ihre aufgeritzte Stirn, ihr zerschnittenes Handgelenk. Unter der Lupe sah man das Blut auf den Lippen, eine dünne Kruste nur, verglichen mit dem Blut überall sonst. Sie sah immer nur das Ende, sonst nichts.
    Drei laufende Ermittlungen. Aus anderen Akten nahm sie andere Fotos, breitete sie wie ein Kartenspiel aus, Leichen über den ganzen Tisch verstreut. Ein Mann ohne Papiere lag mit neun Stichwunden in einem Hauseingang, Stichwunden im Hals, wie abgezirkelt nebeneinander. Kein Hals mehr, etwas wie Brei. Gisela Meurer, geöffneter Mund, ein Stück von der Zunge. Noch einmal Bischof, dunkle Flecken um das Kinn herum. Ihr Mund so weit geöffnet, als erwartete sie, daß ihr jemand etwas zwischen die Lippen schob, so, wie man sich manchmal füttern ließ im Spaß, eine Praline beim Fernsehen, koste mal, ist gut.
    Keine Geschichten. Man durfte sich keine Geschichten dazu denken.
    Ina Henkel setzte sich auf die Schreibtischkante, sah von oben auf die Fotos, dann ließ sie sich wieder auf den Stuhl fallen. Verschwinden der Totenstarre als Indiz für einsetzende Fäulnis. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch, drückte die Fingerspitzen auf die Augen. Als Stocker ins Zimmer kam, rollte sie so heftig zurück, daß der Stuhl

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