Mimikry
der Wohnung. Es kam auch niemand, der ihr Dreck hereintrug. Sie wusch sich drei Minuten lang die Hände, wie nach jedem Arbeitstag, der Dreck sammelte sich ja, man wühlte in Zeitungen und im Archiv herum und manchmal gab man Leuten die Hand. Als sie das Wasser abdrehte, summte es in den Ohren, das war merkwürdig, aber es war nur die Stille.
Es zog sich noch hin mit dem Abend. Sie könnte fernsehen oder lesen, jeder Abend war gleich. Sie sah viel fern, nahm vieles auf und sah sich manches in Zeitlupe noch einmal an. Letztens hatte es eine gute Szene gegeben, in der zwei Leute sich gestritten hatten. Die Schauspielerin hatte ihrem großkotzigen Partner nur einen Finger entgegengestreckt, ganz unaufgeregt, so als könne sie sein Gequassel abstellen und sein Gegrinse auch. Lässig und leicht war das gewesen, doch die Henkel hatte es eben mit Gabriel noch besser gemacht.
Biggi kochte Kaffee, holte Brot aus der Speisekammer, Margarine, Käse und Gurken aus dem Kühlschrank und stellte alles auf den Tisch. Es sah dumm aus, so, als sei großartig gedeckt und es käme gleich jemand und setzte sich dazu. Wieder summte es im Ohr; komisch, daß man die Stille hörte. Sie wärmte ihre Hände an der Tasse. Gabriel hatte den ganzen Tag nur Kaffee getrunken und nichts gegessen. Es ging ihm nicht gut, seit der Marktanteil fiel. Er selber fiel. Menschen wurden häßlich, wenn sie auf der Strecke blieben. Biggi hatte Gabriel einmal schön gefunden, zu jener Zeit, als er stark gewesen war. Ganze Stöße von Autogrammkarten hatte sie in ihrem Schreibtisch im Büro, doch in den letzten Monaten hatte sie kaum mehr welche verschickt.
Sie stellte die Tasse ab, nahm das Telefonbuch, schaute eine Weile auf die Seite, blätterte weiter und dann wieder zurück. Die Polizistin schien eine Geheimnummer zu haben.
11
Streifenbeamte hatten Friedhelm Meurer in der Nacht gefaßt, ein dünner, blasser Mann mit dünnem Haar. Er hielt einen Kamm in der Hand und sagte: »Ich habe meine Frau aber nicht erwürgt.«
Stocker und Henkel saßen ihm gegenüber, Stocker sagte: »Wieso laufen Sie denn weg? Wir haben Sie gesucht, Herr Meurer.«
Friedhelm Meurer beugte sich vor und strich mit dem Kamm über sein Knie. »Morgens habe ich mich noch verabschiedet, abends komme ich nach Hause und sehe sie da liegen, das war so entsetzlich, daß ich die Wohnung − ja, ich bin, ich weiß nicht mehr, irgendwohin. Hab die Schwägerin angerufen. Hab ihr gesagt, daß sie da liegt.« Er machte eine lange Pause, konzentrierte sich auf seinen Kamm. »Man kommt von der Arbeit, ich bin technischer Angestellter. Meine Frau lag auf dem Boden. Sie hatte ein Verhältnis.«
»Ein Verhältnis.« Stocker lehnte sich zurück. »Das zergeht mir auf der Zunge.«
»Ja.« Friedhelm Meurer senkte den Kopf, sah zu, wie seine Hand mit dem Kamm über sein Knie strich, sah so aufmerksam hin, als sei das gar nicht seine Hand, sein Kamm, sein Knie. Draußen brüllten Signalhörner, zwei Wagen fuhren vom Hof. »Es ist mit meiner Frau nämlich eine sexuelle Angelegenheit gewesen.«
»Ja?« Ina Henkel zeichnete kleine Kreise in ihr Notizbuch. Sie hob den Kopf und sah Meurer an.
»Konkret gesagt, meine Frau – sie war, wie man sagt, so veranlagt.« Meurer sah zu Stocker, Stocker sah weg, als Ina Henkel fragte: »Ihre Frau war was?«
»Ja, daß sie also – Sie wissen –«
»Nein, ich weiß nicht, Herr Meurer, sagen Sie es mir.«
Meurer fing an, sich zu kämmen, hielt inne, warf den Kamm auf den Boden und faltete die Hände. »Sie wollte das.«
»Ja?«
»Ja, genau.« Er schob die gefalteten Hände zwischen die Knie.
Stocker verschränkte die Arme. »Herr Meurer.«
Ina Henkel schlug eine Seite ihres Notizbuches um. Sie malte ein Kreuz auf die leere Seite, strich es wieder durch. In der Morgenkonferenz hatte der Chef wissen wollen, was mit der Frau gewesen war, und sie hatte gesagt, diese Bischof hätte kein Gesicht mehr gehabt. Blutig, zerschlagen, Verletzungen aller Art, Suizid mit Sicherheit auszuschließen. Die meine er nicht, hatte der Chef erwidert, er meine die andere. Das war Meurers Frau. Das Gesicht von Meurers Frau war blau gewesen, eher violett, das kam vom Erstickungstod. Verletzungen aller Art an Hals und Brust und Beinen.
Sie sah Meurer an. »Ihre Frau wollte einen besonderen Kick haben, wollen Sie das sagen?«
Meurer schob einen Daumen in den Mund, nuschelte: »Was meinen Sie damit? Was ist Kick? «
»Ihre Frau fand es beim Sex besonders geil, gewürgt zu werden,
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