Mimikry
Anorak, doch es hatte geregnet am Morgen. Alles an ihr war falsch, das sah sie jetzt, sie wollte sich verstecken und rührte sich gleichwohl nicht von der Stelle, sagte: »Guten Tag.«
Die Henkel sah Biggi so zerstreut an, als könne sie sich nicht mehr erinnern, noch nicht einmal daran, daß Biggi für sie eine wichtige Zeugin war. Sie sagte: »Hallo«, lächelte flüchtig.
Biggi glaubte, daß kein Mensch sich je erinnern würde, sie war nicht so ein Typ, der sich anderen ins Gedächtnis grub. Sie räusperte sich. »Sie möchten zu Gabriel Mosbach?«
»Hm.« Die Henkel ließ einen Autoschlüssel um den Mittelfinger kreisen, sah sich das Gebäude an.
»Ich kann Sie zu ihm bringen«, sagte Biggi.
»Ja, schön«, sagte Stocker, als müsse er auch etwas sagen.
Im Aufzug sprachen sie nicht. Sie sahen aus, als würden sie gar nichts sagen wollen; es waren elf Stockwerke, das war lang, wenn niemand redete. Stocker lächelte einmal flüchtig, die Henkel guckte sich ihre lackierten Nägel an.
»Können Sie Karate?« fragte Biggi. »Ich meine, wegen vorhin, dem Mann da.«
Stocker tippte der Henkel auf die Schulter, denn sie sah aus, als hätte sie nicht zugehört.
»Karate? Nee.« Mit einer Fingerkuppe strich sie über ihren Daumennagel.
»Ein bißchen was anderes«, sagte Stocker höflich. Er lächelte wieder.
Sie gingen gleich in Gabriels Zimmer und schlössen die Tür. Nur gedämpftes Gemurmel war zu hören, doch sie schienen freundlich miteinander umzugehen. Biggi hatte sich vorgestellt, Gabriel würde winseln und schreien, er habe nichts getan. Nach ein paar Minuten rief er, sie solle Kaffee bringen.
Es gehörte zu Biggis Aufgaben, Kaffee, Sherry oder Wein zu servieren, und meistens konnte sie das, ohne aufzufallen. Doch manchmal zitterten ihre Hände so blöd, wenn alle guckten, so wie jetzt, als sie das Tablett auf den Tisch stellte und eine Tasse klirrend kippte und die volle Kaffeekanne überlief. Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie die Henkel ihr Bein wegzog. So war es immer schon gewesen, Biggi stellte sich dumm an und Leute regten sich auf.
»Oh verdammt« rief Gabriel, »jetzt sei nicht so ein Trampel, wisch das weg « , und das war etwas, das niemand hören durfte. Er warf ihr eine Serviette zu, sein Gesicht ein weißer Fleck. Er murmelte: »Entschuldigung«, doch sah er dabei nicht Biggi, er sah die beiden Polizisten an.
Biggi guckte zu, wie ein bißchen von der Pfütze auf das Firmenlogo lief, das hier auf allen Tischen klebte: REAL LIFE ENTERTAINMENT. TV-PRODUKTION. Überall sah man das, damit man nicht vergaß, wo man war. Einen Moment lang war es so, als sei sie festgehalten und plötzlich losgelassen worden, so, wie es mit ihrem Vater gewesen war, mit dem Fahrrad, manchmal fiel ihr das ein. Er hatte das Rad am Gepäckträger gehalten und dann losgelassen, da war sie ein Kind gewesen. Er wollte, daß sie radfahren lernte, doch sie konnte es nicht, war vor Schreck gefallen, und der Vater hatte über die Straße gebrüllt, wie dämlich sie war, und sie hatte niemals radfahren gelernt, nie. Jetzt war es ohnehin zu spät. Sie stand da, mit dieser Serviette in der Hand, und konnte sich nicht mehr bewegen, und dann hörte sie die Henkel mit ihrer leisen, fast sanften Stimme fragen: »Wie sind Sie denn drauf?«
Biggi hob den Kopf, doch die Henkel sah sie gar nicht an. Sie sah Gabriel an, der beschwichtigend die Hände hob, und sie fügte hinzu: »Machen Sie das immer so?«
Gabriel grinste blöd und wurde ein bißchen kleiner, ja, so war es wirklich, und die Polizistin wippte leicht mit dem Fuß. Ihre Stimme blieb unverändert, als sie sagte: »Kommen Sie sonst nicht zum Zug?«
»Bitte«, murmelte Gabriel, dann wußte er nicht weiter.
»Mein lieber Mann«, fing sie wieder an, doch da räusperte Stocker sich so laut, als wolle er ihr signalisieren, sie solle den Mund halten. Nach kurzer Pause sagte sie: »Ich trinke eh keinen Kaffee«, dabei sah sie Gabriel so lange an, bis er den Kopf senkte. Dann war es ganz still. Sie hatte ihn besiegt, sie hatte ihn bezwungen. Als ob er vom Rad geflogen wäre, die Hände voran und den Hintern in die Höhe gestreckt, als sei er im Dreck gelandet, grinsende Leute drum herum, so ein kleiner Wicht wie dieser Penner da draußen.
»Okay«, murmelte Gabriel und sah kurz zu Biggi herüber. »Sorry.«
Die Henkel lehnte sich zurück, dabei drückte sie eine Hand in den Nacken, als tanke sie mehr Kraft, pumpe sich wieder auf. Sie ließ sich nichts gefallen, so sah
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