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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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ist eine Gefühlssache.« Stocker stützte das Kinn auf die Hände. »Die Musik, der Gesang. Ich glaube, Sie können sich gar nicht mehr entspannen. Wenn Sie sich dauernd mit Rockmusik zudröhnen –«
    »Was hören Sie denn? Bloß dieses Zeug?«
    »Ich mag vor allem Mozart«, sagte er. »Rock und Techno macht mich nervös. Das ist Terror, akustische Vergewaltigung, sobald man das Radio andreht, kommt dieses Baßgedröhne.«
    »Was verstehen Sie denn alles unter Baßgedröhne?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie halten wohl Elton John schon für Heavy Metal?«
    »Nein, den höre ich gern.«
    »Das dachte ich mir.« Sie setzte die Kopfhörer wieder auf und drehte die Lautstärke hoch, Gitarren, Schlagzeug, Baß. Tosca. Von der Brücke runter, die dicken Brüder letztens vom Dach. Einer von denen hatte mit elfmal gebrochenen Knochen da gelegen, Flüssigkeit um ihn herum, Zeug aus dem Hirn und dem Rückenmark.
    » Gabriel hat gelacht, ein Engel im Nebel. Seine Augen waren so leuchtend, daß ich später immer an ein kleines Licht denken mußte, das da gebrannt hat an diesem Novembertag, fast wie ein Nordlicht so klar. Danach haben wir uns nicht mehr getrennt. «

12
    Vor Julia Bischofs Wohnungstür lag noch die Fußmatte mit dem gelben Smiley und der Aufschrift » Willkommen! « . Drinnen fiel ein Streifen Sonnenlicht auf den Teppich und erhellte das Blut, die rostbraunen Flecken.
    » Gabriel ist mein Engel. Alles an ihm erinnert mich an einen Engel. «Vielleicht hatte sie auf diesem Sofa hier gesessen, auf dem sie gefunden worden war, den Spiralblock auf den Knien, während leise Musik aus den Boxen kam; ihre CDs lagen noch immer ordentlich auf einem Regalbrett, alphabetisch sortiert, Mariah Carey, Celine Dion, Elton John, lauter Schnulzen.
    Engel hinterließen keine Spuren. Ein Handtuch und eine Zahnbürste im Bad, Kosmetik, Duschgel, Nervenruh forte. Im Schlafzimmer ein schmales Bett, ein hoher Schrank, ein Spiegel, überall Kissen und Kerzen. Wie auf einer Tanzfläche, auf der sie die einzige Tänzerin war, stand Ina Henkel mitten im Raum und drehte sich langsam im Kreis, versunken in einen einsamen Tanz. Leere Vasen auf der Fensterbank, eine Seidenrose auf der Kommode neben dem Bett, in einem Korbstuhl zwei knollennasige Stoffpuppen, Hand in Hand.
    Das waren Julias Sachen. Julias Leben blieb unauffindbar.
    Röcke und Blusen im Schrank, dunkle Farben; gedeckt, hatten Julias Kollegen gesagt, gedeckte Farben hatte sie getragen, war viel zu jung dafür gewesen. Die Mitarbeiter der Immobilienfirma waren im Sekretariat zusammengelaufen und hatten es weitergegeben wie bei einem Kindergeburtstagsspiel, stille Post von Ohr zu Ohr: die Bischof. Sie war ein friedlicher Mensch, sie hatte sich mit allen verstanden.
    Und sonst?
    Nichts weiter. Ein bißchen altmodisch vielleicht, etwas betulich, überkorrekt. Ein paar Macken, sicher, sie hatte immer die Türklinke abgewischt, hatte so einen Trick entwickelt, die Klinken nur mit dem Ellbogen zu öffnen, ein Trick zum Tick gewissermaßen. Merkwürdig auch: der Telefonistin hatte sie erzählt, ihr Freund arbeite beim Fernsehen. Sie hatte seinen Namen nicht genannt, nur ein großes Getue darum gemacht, doch er hatte sie nie abgeholt, soweit die anderen wußten. Kabelträger vielleicht, Kabelträger beim Fernsehen, wenn überhaupt. Sie selber hatte ja auch einmal Fernsehluft geschnuppert – verhaltenes Gekicher – Julia Bischof war in einer Talkshow gewesen, viele hier hatten es gesehen, so ein komisches Geschwafel über die Träume vom Glück.
    Und sonst? Ina Henkel hatte es wiederholt gefragt, war den Leuten auf die Nerven gegangen.
    Schulterzucken. Nichts eigentlich. Manchmal hatte sie erzählt, wie sie eine Bluse erstanden hatte, im Sonderangebot für 29,90, eine Schnäppchenjägerin. Sie hatte die Geburtstage der meisten Kollegen gewußt, war gleich morgens zur Gratulation erschienen, immer mit einem Piccolo in der Hand. Bischofs eigenen Geburtstag hatte sich kein Mensch merken können.
    In der Küche ein Jahreskalender ohne Einträge. Ina Henkel lehnte sich gegen die Wand und ließ die Arme baumeln, starrte auf die kleine Eßecke, eine angedübelte Platte mit einem Hocker davor. Der Kühlschrank war voll. Randvoll mit Lebensmitteln auch der Einbauschrank darüber.
    Von der Straße drang Kinderlachen herauf, ein Hund kläffte zum Gezeter einer Frau, Geräusche, die Julia Bischof gehört oder längst nicht mehr wahrgenommen hatte, das Läuten einer Glocke in der Ferne. Wie ein

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