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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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wußte, was das war; Zeug aus dem Körper. Erzählte man davon, blieb man selber nicht am Leben.
    Sie sah Stocker zur Brüstung kommen, sagte: »Wo ist denn bei dem Mosbach der Griff zum Wegschmeißen? Der ist so glatt, der windet sich, Sie müssen’s nicht an mir auslassen, wenn Sie sich mehr versprochen haben.«
    Stocker lehnte sich nach vorn, daß es einem in den Beinen zog. »Der ist sich sehr sicher«, murmelte er.
    Sie warteten. Gegen die Brüstung gelehnt, sahen sie sie zu, wie Mitarbeiter von REAL LIFE ENTERTAINMENT über den Flur rannten, manche so leichtfüßig und verspielt wie junge Hunde. Eine kurze Berührung, wenn sie auf gleicher Höhe waren, zwei, drei Worte und ein helles Lachen, bevor sie in den Zimmern verschwanden. Als die Benz mit den Akten kam, war es wie ein dumpfer Aufprall, wenn ihr rechtes Bein den Boden berührte. Sie kam vom anderen Ende des Flurs auf sie zu und blieb stehen, als wollte sie das Geräusch eindämmen, das sie machte. Sie wartete, bis der Flur leer war, dann schlich sie weiter. Stocker ging auf sie zu, und sie reichte ihm den ganzen Stoß, blaue Aktendeckel und rote.
    »Haben die Farben eine besondere Bedeutung?« fragte er.
    »Männer und Frauen«, sagte die Benz.
    »Ah so.«
    »Die Männer sind blau«, murmelte sie.
    »Ja, das sehen wir dann.« Stocker lächelte. »Auf Wiedersehen, Frau Benz.«
    »Auf Wiedersehen«, wiederholte sie leise.
    Im Aufzug drückte Ina Henkel dreimal auf Erdgeschoß. »Männer sind blau.« Sie lachte.
    »Tja.« Stocker lehnte sich gegen die Wand. »Man möchte sie schon mal rütteln und schütteln und stoßen.«
    »Na!« Sie kicherte. »Ich muß auch noch einkaufen. Ich weiß nicht, ich kriege das nicht mehr auf die Reihe, entweder kaufe ich viel zu viel, vergammelt dann alles, oder ich vergesse es ganz, hab ich dann tagelang einen leeren Kühlschrank, die Spülmaschine ist auch noch nicht in Ordnung.«
    »Nicht?«
    »Es kommt ja keiner. Der Laden, wo ich sie gekauft hab, führt die nicht mehr, machen sie auch keinen Kundendienst.« Auf der Straße hob sie das Gesicht zur Sonne; langsam fing sie an, ein bißchen zu wärmen. Alles würde intensiver werden, der Duft der Blumen und das Gefühl auf der Haut und der Geruch in den Wohnungen der Toten.

35
    Als sie über den Parkplatz gingen, wirkten die Polizisten wie ein altes Ehepaar, so gleichgültig schlenderten sie nebeneinander her. Ihren Gesten merkte man nicht an, wie es gelaufen war, und auch Gabriel tat so, als seien sie gar nicht dagewesen. Er holte sich Zeitungen aus Biggis Zimmer und ging dann ohne Gruß.
    Biggi sah sich die Zettel an, die man ihr hingelegt hatte, als sie im Archiv war, »10 Kopien«, stand auf einem. Sie selber hätte »Danke«, darunter geschrieben, ein kleines Wort, das keine Mühe machte. Früher hätte sie sich vielleicht geärgert, jetzt nicht mehr. Jetzt hatte sich etwas geändert. Man bekam ein anderes Gefühl, kehrte man abends in ein schickes Viertel zurück, wie es andere Leute ganz selbstverständlich taten, eine andere Einstellung zu Freude und Glück. Bisher waren das nur Worte gewesen. Sie pustete leicht über die Zettel und sah zu, wie sie anfingen zu schweben.
    Später in der Stadt mußte sie zwei Kaufhäuser abklappern, bevor sie das Richtige fand. Die Kassiererin schob das Kostüm in die Tüte, ohne von oben herab zu gucken; wenn alles normal war, reagierten die Leute nicht. Sie benahmen sich nur blöde, wenn man etwas falsch machte, man sah es dann an ihrem leichten Grinsen und der Art, wie sie kurz die Brauen hoben.
    Alles war normal. Als Biggi die Tüten ins Auto packte, um nach einem Arbeitstag eine ganz andere Strecke zu fahren, hin zu den Altbauten und den Bäumen, kam es ihr vor, als sei sie in das andere Leben gerutscht wie ein ängstliches Kind ins Wasser. Immer hatte es hereingewollt und zugeguckt, wie die anderen planschten, aber es hatte sich auch nie so richtig getraut. Zuerst strampelte es ein bißchen, dann ging es leichter, dann wollte es gar nicht mehr heraus.
    Lenaustraße. Schon der Klang war schön. Beim Aufschließen der Wohnungstür atmete sie ganz vorsichtig. Jede Wohnung hatte ihre eigenen Gerüche, etwas, das man nach einiger Zeit gar nicht mehr wahrnahm, ein Hauch von Parfüm vielleicht oder kalter Zigarettenrauch, Blumenduft, Räucherstäbchen oder etwas anderes. Sie rief »Hallo«, weil es so still war.
    Links war die Küche, daneben das Bad, ein düsterer Raum mit einer Luke, der gerade Platz bot für die Wanne und das

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