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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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ihm?«
    »Querulant.« Er nahm sich eine Zigarette. »Der versucht sich einzuschleichen. Ich sag Ihnen mal ein Beispiel, da gibt es diese Therapeutin, die ihre eigene Sendung hat, die läßt sich im Fernsehen anrufen, Frau Lämmle. Tanzt therapierend vor der Kamera herum und findet sich toll, kennen Sie die? Na, jedenfalls hat Hilmar da mal angerufen, in der Redaktion gesagt, es ginge ihm um Eheprobleme, und als er dann auf Sendung war, hat er die Frau übel beschimpft. Soll doch vorm Spiegel herumturnen, statt das ganze Sendegebiet mit ihrem Narzißmus zu überziehen, in der Art wohl. Oder er erzählt im telefonischen Vorgespräch, er verliebe sich immer falsch, dann kommt er auf Sendung und berichtet, er lasse sich von seinem Rottweiler bespringen und was er dagegen unternehmen könne, das Tier sei so triebhaft. Dummes Zeug, der stellt alles in Frage, der will uns nur verarschen. Beim Hans Meiser wollte er mal –«
    »Kennen Sie ihn persönlich?« Stocker lächelte.
    »Gott sei Dank nicht. Die Redaktionen sind da inzwischen geeicht, die passen auf, soweit das geht. In den Radiotalks beschimpft er dauernd die Moderatoren, da achten jetzt schon ganze Sender im Vorfeld auf seine Stimme. Was wollen Sie von dem, haben Sie den auch als Mörder ausgeguckt?« Wie ein müdes Kind wickelte er sich Haarsträhnen um den Finger. Asche tropfte von seiner Zigarette. »Gehen Sie eigentlich davon aus, daß es derselbe – also, daß Julia und Martin von demselben –«
    »Na?« fragte Stocker.
    »Schwierig«, sagte Mosbach. »Schwierig für Sie. Wenn das stimmt, daß Martin so lange – äh – Sie kommen ins Schwimmen mit den Alibis, nicht?«
    »Diese, wie nennen Sie das, Bewerbungen der Leute für Ihre Sendung, die möchten wir gerne mal sehen.« Stocker stand auf und ging langsam an ihm vorbei zur Tür.
    »Von mir aus.« Mosbach hielt seine längst abgebrannte Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger wie einen Fund, den es zu präsentieren galt. »Da haben Sie zu tun. Da lesen Sie ganze Lebensläufe, die niemanden interessieren. Es kommen auch nicht alle dran, die schreiben, so läuft das ja nicht. Die müssen erst zum Casting, da wird geprüft, ob die überhaupt sendetauglich sind. Manche können sich ja nicht unbedingt ausdrücken.«
    »Wir nehmen sie mit«, sagte Stocker.
    »Wenn Sie meinen. Da müssen Sie aber was unterschreiben. Wenn etwas das Haus verläßt –«
    »Sicher«, sagte Stocker. »Was ist mit den abgelehnten Bewerbern? Gibt es da verärgerte Leute, die sich beschweren, daß sie nicht teilnehmen dürfen?«
    »Ab und zu.« Endlich warf Mosbach seine Kippe in den Aschenbecher. »Müßten Sie alles in den Akten finden.« Er zögerte. »Seit sie tot ist, denke ich öfter über sie nach. Über Julia Bischof, meine ich.«
    »Kommen Sie zu einem Ergebnis?« fragte Ina Henkel.
    »Und Sie?« Er lächelte sie an. »Im Tatort hätten Sie keine Quote, mal von Ihrem Äußeren abgesehen. Aber in neunzig Minuten wären Sie nicht durch.«
    »Ja, ich weiß«, sagte sie. »Wer bloß das Scheißfernsehen kennt, findet uns ätzend.«
    »Wenn Sie draußen warten würden«, sagte Mosbach. »Ich werde veranlassen, daß Sie das Zeug kriegen.« Er reichte ihr die Hand, doch sie ergriff sie nicht. Er lächelte und steckte die Hände in die Hosentasche.
    »Fernsehen hätte genügt«, sagte Stocker draußen auf dem Flur. Zwei Frauen rannten an ihnen vorbei und riefen gleichzeitig: »Hi!«
    »Was meinen Sie?« fragte Ina Henkel.
    »Wenn Sie Fernsehen gesagt hätten. Warum müssen Sie Scheiß fernsehen sagen? Kein Wunder, daß Sie soviel reden, Sie benutzen ständig überflüssige Worte.«
    Sie trat gegen die Aufzugtür. Drei Meter entfernt das Treppenhaus, die ungeschützte Brüstung lud zum Freitod ein. Stellte sich ein Todesfall als Suizid heraus, hatten sie weniger zu tun. Sie konnten gehen, doch sie hatten es gesehen. Sie ließ ihn stehen und lehnte sich gegen die Brüstung.
    In Fernsehkrimis zeigten Frauen perfekt geschminkte Gesichter, knallten sie aus dem elften Stock aufs Pflaster, und Schauspielerkollegen drehten sie herum. Als diese Brüder vom Dachgarten des Hochhauses gesprungen waren, hatten die Körper, als man sie aufhob, ein anderes Gewicht, was vielleicht daher gekommen war, daß kein Körperteil mehr richtig hielt, wie bei Marionetten mit verrutschten Gliedern, darüber könnte man ja auch reden. Daß man in einem zerrissenen Jackett nach einer Brieftasche angelte und mit der Hand in etwas ratschte, von dem man nicht

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