Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
noch nie gesagt. Echt?«
    »Ich hab dir überhaupt noch nicht viel gesagt.«
    »Aber das ist doch interessant.«
    »Ja?«
    »Trink doch. Nachher läuft’s aufs Bett.« Er lachte, als sie einen viel zu großen Schluck nahm, der in der Kehle brannte.
    Sie hielt das Glas gegen das Licht. »Drei Stunden altes Blut sieht so aus. Ausgelaufenes. Wird immer dunkler mit der Zeit.«
    »Mmh.«
    »Ja, wird dann irgendwann braun. Willst du so was hören?«
    Er seufzte und legte ihr die Hand in den Nacken, ließ die Finger krabbeln wie ein kleines Tier, über ihren Hals und in den Ausschnitt ihres T-Shirts. »Ich hab halt bloß gedacht«, begann er.
    »Was?«
    »Na ja, wenn er da liegt, also, da hat ihn jemand erschlagen, das stimmt doch, oder? Das stand –«
    »Ja.«
    »Genau, da liegt er, und wenn er eine Seele hat, das weiß man ja nicht, dann muß er sich doch wundern, daß keiner seinen Mörder sucht, so als hätt’s ihn nie gegeben. Das geht ja auch nicht, weil ewig keiner gewußt hat, daß ihn einer erschlagen hat, das muß ihn doch dann doppelt treffen.«
    Sie kicherte, und als sie merkte, daß sie so schnell nicht aufhören konnte, drückte sie das Gesicht gegen seine Brust.
    »Ich kann’s nicht besser sagen, verdammt.«
    »Ich weiß«, flüsterte sie. »Ich kann’s ja auch nicht.«
    »Dem anderen hast du bestimmt alles erzählt.«
    »Welchem anderen?« Ihre Stimme klang dumpf an seiner Brust.
    »Deinem letzten Freund.«
    »Nein, bestimmt nicht.« Sie rieb ihre Stirn an seinem Pullover, der so roch, als käme er gerade aus dem Trockner, weichgespült, duftweichgespült; alles an ihm roch frisch und lebendig.
    »Früher war ich mal Meßdiener«, sagte er. »In der Kirche. Wegen der Seele vorhin, daher hab ich das.«
    » Seele. «Sie zog die Nase hoch. »Weißt du was, wir zerfallen in chemische Verbindungen. Ende vom Lied.«
    »Aber vorher leben wir.«
    »Hm.« Sie spürte, wie er sich bewegte, sein Körper war warm.
    »Also, die Seele, die soll doch weiterleben«, sagte er. »Aber ich war nicht so lange da. Ich hab dann was geklaut in der Kirche und mußte weg.«
    »Was klaut man denn in Kirchen? «
    »Naja –« Er räusperte sich. »Das war so ’n Kelch aus der Sakristei. Sah hübsch aus.«
    »Ich muß das aufnehmen, Czerwinski.«
    »Mmh.« Er kicherte.
    »Ja, stell dir mal vor, du verscherbelst einen Kelch, aus dem ein Heiliger getrunken hat, ich weiß ja nicht, was die für Zeugs aufheben da. Trifft dich ein, wie heißt das, Bannstrahl.«
    »Ja, das wär blöd.« Er fing an, ihren Hals zu küssen. »Werd ich zum Zombie. Aber dann nehm ich dich mit. Bist dann meine Zombie-Frau.«
    Sie streichelte sein Haar, und er brummte wie der Kater, wenn sie ihn kraulte. »Der Jerry war früher bei einer Frau – hast du vielleicht auch gelesen. Die lag auch – bei der waren es drei Tage. Vielleicht vier.«
    »Eine Tote?« Er hob den Kopf und sah den Kater an, als trüge er ein Geheimnis. Vielleicht wußte er alles. Hatte alles gesehen.
    »Ich hab ihn gebadet«, sagte sie.
    »Warum? War er schmutzig?«
    »Der hieß auch nicht Jerry bei der, ich hab den so genannt.«
    »Wegen mir. Hast du gesagt, Tom und Jerry.«
    »Stimmt ja auch.« Als sie ihn küßte, glaubte sie sekundenlang die Uhr zu hören, die manchmal durch die Nacht tickte, und sie löste sich von ihm, um zur Wand zu gucken, wo keine Uhr hing, nie eine gehangen hatte, nicht hier.
    »Hey«, murmelte er. »Nicht aufhören.«
    »Du mußt doch gleich weg. Ich mag keine schnelle Nummer.«
    »Das war mir jetzt aber neu.« Er lachte, zog langsam ihr T-Shirt hoch und malte mit der Zunge kleine Muster auf ihren Bauch.
    Sie schloß die Augen. »Manchmal würd ich gern neben dir aufwachen, weißt du.«
    »Tust du doch. Aber du bist quengelig morgens.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Doch.« Lächelnd hob er den Kopf, und dann sah sie ihn an, bis es ihr vorkam, als ginge sie in seinen Augen spazieren, als sei weites Land hinter seinen Augen, das man auskundschaften konnte, schönes Kitschland mit Hügeln und Tälern und Gras. Er hielt still. Ganz verwundert guckte er zurück und bewegte sich erst, als er sah, daß sie nicht an seine Knöpfe kam.
    In einer der Zeitschriften hatte mal gestanden: Die Ewigkeit liegt im Augenblick; manchmal notierte sie sich solche Sätze, weil sie schön waren. Und sie stimmten ja, obwohl man sie erst gar nicht richtig begriff. Sie hatten kaum Zeit und doch reichte es, um ihn überall zu spüren und in diesem Land zu landen, das sie hinter seinen Augen

Weitere Kostenlose Bücher