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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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schrieben die? Hilmar, Bischofs Nachbar, mochte keine Talkshows, haßte die Moderatoren, trotzdem sah er zu, was tat er noch? Alles annehmen, alles verwerfen, was hatten sie denn erwartet? Den lupenreinen Drohbrief eines Durchgeknallten, der sich über das Programm beschwerte und Talkshowgäste gleich entsorgen wollte? Name, Anschrift, Telefon?
    » – mein Hund hieß Benni, jetzt ist keiner mehr da. Wenn Sie die Geschichte hören wollen, wenn Sie diese Sendung über Tiere machen – «
    Einen Brief nur hatte sie mit einem Fragezeichen versehen, ein Mann, der sich beschwerte, daß er abgelehnt worden war. »Jeder Depp darf vor die Kamera«, schrieb er, »meine existentiellen Probleme weisen Sie zurück.«
    Existentielle Probleme, was sollte das sein? Pilcher, Klaus-E. stand als Absender da. »Pilcher«, hatte sie notiert. »Benz fragen.«
    »Noch mal Mosbach«, schrieb sie darunter, setzte drei Ausrufezeichen dahinter.
    Sie knallte die Autotür zu und räumte den Beifahrersitz frei, Kassetten und Stadtpläne, Magentabletten, Vogue, marie claire. Warum hatten sie reden wollen, Bischof und Fried, warum hatten sie es nicht für sich behalten?
    Niederrad. Sie strich es auf dem Stadtplan an. Ein Mann namens Walter Bergmann, der in der Sendung neben Fried gesessen hatte. Eine ordentliche Liste hatte die Benz ihr da gegeben, übersichtlicher als das ganze rot-blaue Aktenzeug. Sie hatte eine Tabelle gezeichnet, links standen die Namen, rechts die Adressen, Bergmann, Walter.
    Ein dürrer Kerl mit blondem Pferdeschwanz. Rauchend stand er in seinem Wohnzimmer, fragte: »Was soll ich Ihnen da sagen?« Er trug einen Morgenmantel, eine Jogginghose darunter, Sandalen an den Füßen. »Fried – helfen Sie mir mal, wo war der denn dabei? Verschwommen hab ich den im Kopf.«
    »Mosbach«, sagte Ina Henkel. Sie strich mit einem Finger unter der Nase entlang, wie sie es manchmal machte, wenn Leichen im Zimmer waren. Das Zimmer war überheizt und stank nach Zigaretten. Es sah wie ein Tonstudio aus, HiFi-Anlage, riesige Lautsprecherboxen, Fernseher und zwei Videorecorder. Sie fragte: »Wozu brauchen Sie zwei Videorecorder?«, doch das ging sie nichts an und sie schüttelte sofort den Kopf und murmelte: »Egal.«
    »Zum Überspielen«, sagte Bergmann erstaunt. Er sah sie an, als bräuchte jeder Mensch zwei Videorecorder. »Wenn ich mir die Bänder zusammenstelle, brauch ich doch zwei.« Er drückte seine Zigarette aus, zwischen Zeige- und Mittelfinger hatte sich die Haut verfärbt. »Mal anders gesagt, haben Sie noch nie ein Musikstück von einer Kassette auf eine andere überspielt?«
    »Nein«, sagte sie. »Ich nehm von CDs auf. Fürs Auto.«
    »Ja, aber gesetzt den Fall, das Stück wäre bloß auf einer Kassette?«
    »Ja, da soll’s doch auch hin.« Sie lachte. »Nee, soviel Arbeit mach ich mir nicht.«
    »Nicht?« Er sah aus, als wüßte er nicht weiter. »Kann ich etwas anbieten?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich will Sie nicht lange aufhalten.«
    »Zigarette?«
    »Nein.« Sie sah zum Fenster, ein Herz aus Stroh hing an der Scheibe. Persönliche Sachen gingen die Leute nichts an, nicht schwätzen. Sammeln, ordnen, werten.
    »Also«, sagte sie. »Mosbach. Sie waren mit Martin Fried in seiner Talkshow.«
    »Mosbach gehört zum Nachmittag.« Bergmann beugte sich über den großen Couchtisch, auf dem an die hundert Videos lagen, in drei Stapel geteilt. Er schien ein System zu haben, deutete auf den mittleren Stapel und sagte: »Das ist der Nachmittag.« Er sah hoch, zog den Gürtel seines Morgenmantels fest. »Ich bin ein Nachtmensch, Sie müssen entschuldigen.«
    »Wieso?« fragte Ina Henkel.
    »Der Aufzug. Ich bin noch im Rohzustand.«
    »Das macht nichts.« Sie sah zu, wie er ein Video in den Recorder schob; das Band jaulte.
    »Na ja«, sagte er. »Die meisten Shows laufen ja nun am Nachmittag, aber wenn ich mal eine Abendshow erwische, bin ich besser drauf.« Ein wackelndes Bild kam langsam zur Ruhe, eine Frau fragte: »Wie kommt ein junger Mensch auf die Idee, auf den Strich zu gehen?«
    Der junge Mensch war ein junger Mann und erzählte, daß er Geld brauche. Die Freier waren dreckig, man stumpfe aber ab. Eine Schrift lief über den Monitor: »Sebastian (19) verkauft seit 2 Jahren seinen Körper.« Die Frau wandte sich an die anderen Gäste. »Was sagt ihr denn dazu?«
    »Das ist Vera«, sagte Walter Bergmann. »Ich bin da.« Flüchtig deutete er mit der Fernbedienung auf sich selbst. Er trug schwarze Jeans und Lederjacke und

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