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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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hob, kam die Sternschnuppe genau auf sie zu. Das war so schön gewesen, daß sie vergessen hatte, sich etwas zu wünschen. Hätte sie tun sollen, um ewige Kraft betteln, um Stehvermögen. Doch damals war alles ohne Gewicht, da wünschte man nicht, da staunte man bloß. In der Dunkelheit konnten sie kaum die eigenen Füße erkennen, und sie rissen Witze darüber, was passieren würde, stolperten sie über eine hingemeuchelte Person. Tote waren ein Witz gewesen, ein Witz im Dunkeln.
    Mit dem Fingernagel schnippte sie gegen die weißen Lamellen. Es gab diese Geschichte mit den demolierten Jalousien. In der Mitte klaffte ein Loch, durch das man den Mond sehen konnte. Ein Mann zerriß die Jalousien in seinem Wohnzimmer und seine Frau tötete ihn mit einer Gartenschere. Später hockte sie am Küchentisch und zählte alles auf, was er im Lauf der Zeit zerstört hatte: die Freude, die Hoffnung, die meisten ihrer schönen Kleider, was noch? Sie nahm die Finger zur Hilfe: In den letzten Wochen das Geschirr und eine Vase ihrer Jugendfreundin, alles im Suff demoliert. Zuletzt die Jalousien, drei Minuten vor seinem Tod. Sie ging in die Küche und holte die Gartenschere, kehrte ins Wohnzimmer zurück und rammte sie ihm dreimal in den Bauch, viermal in die Brust oder fünfmal oder öfter. Wieder zählte sie mit den Fingern: sechsmal, wenn sie es genau bedachte. Oder? Egal, oft. Sie nickte bloß, als dieser Typ mit dem Zopf ihren Mann in die Kiste wuchtete, sie nickte und sagte, es sei nötig gewesen.
    Ina Henkel nahm den Kater vom Bett und drückte ihn an sich. Dreißig Jahre bis zur Rente, wenn man durchhielt. Bis dahin hätte sie zu jedem Gegenstand eine Mordgeschichte, eine Leiche zu jedem Gedanken.
    »Jetzt bin ich soweit!« schrie Czerwinski aus der Küche.
    Sie konnte sich den Namen des Zopf-Mannes nicht merken, dauernd lief er ihr über den Weg, packte die Leute in Särge und nörgelte herum. Sie ging in die Küche, wo Czerwinski ein Chaos angerichtet hatte, Teller, Töpfe, Pfannen und Gewürzstreuer standen herum. Es roch aber gut.
    »Hätten wir doch zusammen machen können«, sagte sie.
    »Nein, Spaghetti kochen von selber, und die Sauce kann immer bloß einer rühren.« Er sah sie an wie ein Kind, das einen Geburtstagstisch gedeckt hatte. »Das ist Carbonara.«
    Sie legte den Kopf zurück. »Riecht gut. Hast Knobi für ’ne Hundertschaft drin.«
    »Ja, und Speck und Eigelb. Ich hab das Rezept von meiner Schwester. Ich würd gern noch Käse drüberstreuen, aber die behauptet, das paßt nicht.«
    »Doch, das paßt.« Sie wühlte den halben Kühlschrank durch, bis sie den Parmesan fand, versteckt hinter dem Joghurt. Als sie zum Tisch zurückkam, zündete er eine Kerze an, die er mit Wachs auf einem Stück Alufolie befestigt hatte. Sie guckte in die Flamme; irgendwo hatte sie gelesen, man guckte in eine Kerzenflamme, um zu meditieren, um die Seele zu säubern und den Geist. »Du hast ’ne Kitschseele, oder?«
    »Was ist?« Er lächelte. »Nicht gut?«
    »Doch, klar.«
    »Ich hab sonst nix gefunden.« Behutsam zog er die Folie mit der brennenden Kerzen in die Mitte des Tisches. »Magst du keine Ständer?«
    »Eigentlich schon.« Sie lachte. »Keine Kerzenständer.«
    Er füllte ihre Gläser mit Rotwein. »Warum denn nicht?«
    »Ich weiß nicht, die liegen alle oben auf dem Schrank, ich hab sie irgendwann mal weggepackt. War so ’n Anfall.«
    »Mmh.«
    »Ich fand das so blöd, wenn man abends alleine dahockt und macht Kerzen an. Naja, es gibt Leute, die tun’s.«
    Er stopfte sich den Mund voll und nuschelte: »Das finde ich schön, wenn man rauskriegt, was der andere mag und nicht mag und so. Du magst zum Beispiel nur schnelle Musik und ich höre gern langsame.«
    »Ich werd dich noch ändern.«
    »Glaub ich nicht. Schmeckt’s denn?«
    Sie nickte.
    »Und dann hast du einen Tick mit frischer Luft, da muß ich mich immer warm anziehen, wenn ich komme.« Kauend sah er hoch. »Du schläfst auch schlecht. Sonntagnacht bist du wieder rumgegeistert.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das war nur, weil ich nicht mehr so gewöhnt war, daß da noch einer liegt.«
    »Ich war doch nicht zum ersten Mal da.«
    »Trotzdem.«
    »Nein«, sagte er. »Daran liegt es nicht, du brauchst nämlich Urlaub. Ich kann in sechs Wochen fünf Tage Urlaub haben, laß uns wegfahren.«
    »Tommy, ich muß das ewig vorher einreichen, ich kann nicht. Nicht jetzt.«
    »In sechs Wochen.«
    »Auch nicht. Erst im Sommer. Na ja, im Spätsommer.«
    »Nie kannst

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