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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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gesehen hatte, das lebendige Land, ein verrückter Ort, weil man auch darin fliegen konnte, schweben, treiben, ohne richtig zu fallen, man versank darin, ohne unterzugehen. Man konnte es sogar begrüßen, dieses Land, mit einem Laut, der ihr ein bißchen peinlich war, als sie merkte, daß er von ihr selber kam, so ein Aufstöhnen, fast ein Wimmern, das anschwoll und sich dehnte und dann widerklang in ihrem Kopf, denn sie hörte den gleichen Laut auch bei ihm. Blöd, aber schön. Wie eine Parole. Nur das, diesen Laut, nicht das Ticken, die Uhr, nur ihren Atem und seinen, sonst nichts.
    Hinterher fiel ihr das ein. Daß er stimmte, dieser Satz mit dem Augenblick und der Ewigkeit, daß alles für immer dasein würde, seine Beine, die sie umklammerten, seine Haut. Sein Herzrasen oder ihr eigenes vielleicht, nichts sonst, und als sie sein Gesicht wieder richtig sehen konnte, verschwamm es gleich wieder, weil ihre Augen plötzlich voller Tränen waren.
    Sie drehte den Kopf zur Seite. »Das hat nichts mit Heulen zu tun. Passiert manchmal.«
    Mit dem kleinen Finger strich er unter ihrem Auge entlang. »Ich würd so gern bleiben.«
    »Tja.« Sie sah ihn wieder an. »Siehste.«
    »Mmh«, sagte er und legte sich auf die Seite.
    »Schlaf nicht ein.« Sie tastete nach dem Wecker, der unterm Bett lag. »Ich hab gar keine Lust auf blöde Rekorde und das war einer.«
    Er kicherte.
    »Sollte man aber nicht mehr überbieten, selbst bei ’nem Kerl mit Nachtschicht nicht.« Sie drückte ihm die Nasenflügel zu, weil er nicht aufhörte zu lachen. »Oder heißt das unterbieten?«
    »Weiß nicht«, näselte er. »Hör auf, laß los.« Er zog sie an sich, so daß ihr Kopf an seiner Schulter lag. »Früher in der Schule haben wir so ’n Kram gemacht. Also nach der Uhr.«
    »Was denn?«
    »So ’n Kram halt. Rudelwichsen.«
    »Das stell ich mir nicht so erhebend vor.« Sie gähnte. »Wieso nach der Uhr?«
    »Na ja, wer zuerst fertig war und so.«
    »Was war dann mit dem?«
    »Nix weiter.«
    »Kein Bonbon zur Belohnung? Na, ist ja auch keine Leistung.« Sie schloß die Augen, spürte seine Arme, und irgendwas erzählte er wohl noch, doch seine Stimme flog in eine Nebelwand und etwas geschah. Ein Poltern, jemand klopfte, brach Türen auf, dann sah sie im diffusen Licht den Kleiderberg liegen, direkt vor dem Bett, das Bündel, das Menschenknäuel, das sie kannte. Lag da. Sie wollte sich aufsetzen, doch sie spürte sein Gewicht am ganzen Körper und der Geruch war wieder da, dieser Gestank, und sie wollte losbrüllen, konnte nicht, und sie fing an, um sich zu schlagen, bis sie seine Stimme hörte.
    »Hey«, rief er, »was machst du, was ist denn?«
    Tommy, jetzt konnte sie ihn sehen, und sie wäre ihm gern unter die Haut gekrochen, als sie endlich begriff, wer er war, weg von dem Bündel und so nah zu ihm hin, wie es ging. Er hatte ihr die Decke über den Körper gezogen, vielleicht hatte es daran gelegen, es war kühl und sie hatte nichts an.
    »Verdammt«, flüsterte sie, »wir haben verpennt, du mußt doch zur Arbeit.« Sie schüttelte den Kopf, um alle Reste zu vertreiben, die Reste von irgendwas, dann sah sie seine Augen und spürte seine Hand auf ihrer Stirn, und der Gestank verschwand.
    »Ist nichts passiert«, murmelte er. »Du bist bloß kurz eingeschlafen. Fünf Minuten bloß, was hast du denn?«
    »Was soll ich haben? Ich hab zuviel getrunken.«
    »Komm! Zwei Gläser.«
    »Ich vertrag nix.« Sie nahm ihr T-Shirt vom Boden. Sie könnte ihm erzählen, daß bloß die Klamotten schuld waren, die hatten sie wieder achtlos heruntergeschmissen, oder der Wein, sicher, der Wein. Das konnte passieren, ein Minutenschlaf mit bösen Bildern, das kam vor, das hatte sie schon gehabt. Sie könnte ihm sagen, wie unlogisch so ein Traum doch war, daß sie gar nicht hätte um sich schlagen müssen, weil ja er, das Bündel, nicht zugleich auf dem Boden und in ihrem Bett liegen konnte, doch wer dachte schon logisch zwischen Traum und Erwachen, obwohl logisches Denken in ihrem Job die Quintessenz war, Pagelsdorf hatte das gesagt, die Quintessenz, sammeln, ordnen, werten. Nur war ihr die Quintessenz gerade abhanden gekommen, sammeln, ordnen, werten, alles vergessen. Oder zu wenig vergessen, wie man es nahm, alles immer wieder sehen, was man vergessen wollte.
    »Ist okay«, sagte sie. Sie konnte ihm das alles nicht erzählen. Dann kam es wie ein Bumerang zurück und haute sie um.
    »Mmh. Geht’s dir gut?« Er zupfte sie am Ohr.
    »Ja klar.«
    Er gähnte und

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