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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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fragte den jungen Stricher: »Bist du denn schwul?«
    »Absolut nicht, nein.«
    »Bei mir ist es ja so«, sagte Bergmann auf dem Video. »Ich kann als Freier schon herausfinden, ob die Dame richtig mitgeht. Ich meine mal, die schwulen Freier merken auch, ob ein Stricher schwul ist, oder?«
    Bergmann in seinem Wohnzimmer drückte die Vorlauftaste. »Da war ich also bei der Vera.«
    »Ja«, sagte Ina Henkel. »Mosbach bitte.«
    »Da war ich als Freier«, erklärte Bergmann. »Sie haben Männer gesucht, die sich dazu bekennen.«
    »Hm«, sagte sie.
    »Eigentlich bin ich kein Freier, aber die haben welche gesucht.«
    »Fried«, sagte sie.
    »Ja, warten Sie, ich muß ihn sehen, um mich zu erinnern. In der Zeitung war kein Bild, oder?«
    »Nein.«
    Erneut hielt er das Band an. Eine blonde Frau fuchtelte mit einem Mikrophon und rief: »Hör mal, du, das mußt du uns erklären«
    »Die Bärbel«, sagte Bergmann. Auf dem Video verschränkte er die Arme, während er der blonden Frau ins Mikrofon sprach. »Na, ich glaube schon, daß Frauen auf die Länge gucken.«
    Er drückte wieder auf die Stoptaste und drehte sich um. »Es ging um das Mannesteil.«
    »Ja«, sagte Ina Henkel. »Hört sich so an.«
    »Na, und sie haben Frauen gesucht, die klar bekennen: Jawohl, ich zähle die Zentimeter. Die Männer sollten sagen, ob sie ihm Namen geben und so weiter. Warten Sie, Mosbach muß auch auf dem Band sein, da bin ich sicher.« Er preßte eine Hand in die Hüfte, während er die Vorlauftaste drückte; als er losließ, schluchzte eine Frau. Er ließ sie noch ein bißchen rucken und zucken, dann war er selber wieder im Bild und sagte: »Ich wurde schon als Kind abgelehnt.« Mit schwarzer Jeans und brauner Lederjacke saß er zwischen der schluchzenden Frau, die sich gerade beruhigt hatte, und einer anderen, die ihn zu tätscheln begann und mit dröhnender Stimme rief: »Aber du hast doch schöne Augen!«
    »Die Ilona«, erklärte Bergmann. Auf dem Video erzählte er: »Ich habe aber ein sehr geringes Selbstwertgefühl. Das kommt daher, weil meine Eltern mich nicht richtig angenommen haben.«
    »Kann man so eigentlich nicht sagen«, murmelte er, als er das Video herausnahm. »Muß doch auf dem anderen Band sein.«
    »Das zweite hätten Sie doch schon laufen lassen können«, sagte sie. »Im zweiten Recorder, oder?«
    Bergmann schüttelte den Kopf. »Der hat was mit der Spule.«
    »Was hat der?«
    »Na, der ist zur Zeit defekt.« Er schob das neue Band in denselben Recorder und drückte auf Rücklauf, bis Martin Fried sagte: »Ich will sagen, ich versuche schon, unter die Leute zu gehen, aber dann stehe ich zwischen ihnen herum.«
    »Na, da ist er ja.« Bergmann nickte zufrieden. »Den meinen Sie doch, oder?«
    »Ja«, sagte Ina Henkel. Sie sah weg. Keine Bilder jetzt; sie preßte die Lippen zusammen, hörte Gabriel Mosbachs Stimme, die viel tiefer klang als gewöhnlich, weil die Bässe so sehr brummten. »Wie«, fragte er, »können wir Martin helfen?«
    Bergmann, auch er mit tieferer Stimme, sagte: »Er muß es immer wieder versuchen.« Er saß neben Martin Fried, der sich sofort zu ihm hindrehte, als er zu sprechen begann. Fried sah Bergmann an, als verkünde er die Rettung von allen Plagen, Erlösung für ein trauriges Herz. Er sah jeden so an.
    Bergmann guckte zu Mosbach, auf das Mikrofon in Mosbachs Händen. »Ich habe mich auch mal zurückgezogen, wie Martin hier, weil ich nicht mehr konnte. Ich wollte immer der Erfolgreichste sein und hab mich dabei permanent selbst unter Druck gesetzt. Das hat zu Magen- und Darmstörungen geführt.«
    »Haben Sie ihn näher kennengelernt?« fragte Ina Henkel.
    »Und zu Herzrhythmusstörungen«, sagte Bergmann auf dem Video.
    »Das Thema war Achilles. «Bergmann drückte die Pausentaste.
    »Ja, ich weiß.« Sie sah auf das eingefrorene Bild, Berg mit erhobenem Arm, Fried, wie er hinüberblickte, Mosbach mit gefalteten Händen. » Meine verwundbarste Stelle. «
    »Richtig«, sagte Bergmann. »Es ist ja so, ich verdiene mir ein bißchen was dazu.« Er betrachtete das Standbild und ging in die Knie, um ein paar Flusen von der Mattscheibe zu pusten. »Ich kann mich in alles hineinversetzen, wissen Sie. Psychologisch. Zu Depressionen konnte ich was sagen, dann hatte ich männliche Eßstörungen.«
    »Männliche –«
    »Eßstörungen. Normalerweise sind die Frauen ja dafür bekannt, dann suchten sie aber Männer, die das haben. Nicht wahr, wenn Sie fressen und fressen und sich dann den Finger – na,

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