Mimikry
das alte und bequemer, mit Stativ. Für Sport, Pferderennen und Tierbeobachtung stand auf der Verpackung, damit konnte sie beinahe die Reste in den Weingläsern der Henkel sehen, dabei sollten Polizisten doch Ordnung halten, oder? Mußten aufpassen, daß sie alles beieinander hatten, Spuren, Indizien, Beweise, mußten alles abheften und in diesen Ordnern sammeln, die überall bei ihnen im Präsidium lagen. Vielleicht war sie nur im Dienst korrekt, als Kommissarin, und als Privatmensch vergaß sie alles. Träumte herum.
Sie hockte auf der Schreibtischkante und schnupperte an diesem Parfüm, das sie sich vorhin in der Drogerie gekauft hatte. Vom Wagen aus konnte man das sehen, sie hatten ja jetzt denselben Heimweg. Nicht direkt denselben Weg, doch dasselbe Ziel, die Lenaustraße. Am Tresen lehnend, probierte sie mit leichten Bewegungen eine Parfümflasche nach der anderen, und die Verkäuferin lachte und schnüffelte mit. Beide sahen ähnlich aus, trugen enges Zeug. Biggi ging nicht gern in einen Laden, in dem sonst niemand war, nur die Verkäufer, die herumhingen und glotzten. Da bekam sie dann so ein Gefühl, gleich Fehler zu machen, ließ vielleicht etwas fallen oder fiel sonst irgendwie auf. Oder hinterher, wenn sie nichts gefunden hatte, schaffte sie es nicht, einfach herauszugehen, also kaufte sie meistens eine Kleinigkeit, die sie nicht brauchte, das war ihr Leben, das allmählich anders wurde, weil sie selber anders wurde mit der Zeit.
So wie die Henkel. Selbstsicher und stark sah sie aus, als ob sie gar nicht daran dachte, daß sie der Verkäuferin zur Last fallen könnte; draußen gefiel sie Biggi besser als drinnen. In der eigenen Wohnung konnte sie sich merkwürdig benehmen, hin und her rennen wie eine gefangene Maus. Oder herumsitzen, wie jetzt. Dieses Parfüm in der Hand, hockte sie da und guckte ins Leere. Um sie herum das ganze Durcheinander. Sie war verschlampt, ließ alles liegen. Dutzende von Klamotten türmten sich auf dem Lederstuhl vor dem Fenster, etwas auf dem Boden, ein Buch vermutlich, hatte sie seit Tagen nicht aufgehoben.
Jetzt machte sie es wieder nicht. Sie stand auf, stieß mit dem Fuß daran und kickte es in eine andere Ecke. Es war noch nie so gewesen, daß sie Gäste hatte, Leute, mit denen sie redete und lachte. Ihr Freund, na gut, der Mann, mit dem sie es trieb, aber das war etwas anderes, das brauchte sie wohl, auch wenn er kaum zu ihr paßte, er sah zu gewöhnlich aus.
Es war nicht so einfach, ihr auf die Schliche zu kommen, man brauchte Geduld.
Man konnte zoomen mit dem neuen Fernglas, so stand es in der Bedienungsanleitung, und das stimmte auch. Spielerei, man sah das Glas in ihrer Hand, als sie sich aufs Bett legte, das schimmernde Glas und die goldglänzende Flüssigkeit darin. Ein Longdrink oder so. Das bekam man in Bars, doch sie hockte zu Hause damit.
Man sah das dumme Zeug, das sie machte. Ein Lichtstrahl fiel schräg auf das Glas und wanderte nach unten, als sie es gegen die Stirn drückte, auf den Hals und zwischen die Brüste. Die funkelnden Ketten an ihrem Handgelenk, nervöse Finger, das Glas mit flüssigem Gold, man konnte alles sehen. Sie führte es auf ihrem Körper spazieren, mit geschlossenen Augen über die Brüste, über den Bauch, und das goldene Zeug tanzte herum. Irgendwann kam es zum Stillstand, sie hatte das Gesicht zur Seite gedreht. Ein Arm hing herunter, sie sah wie eine Tote aus, tot auf dem Bett, aber Tote verkrampften sich nicht so; ihre Schultern zitterten, man konnte es sehen, so ein Beben.
Ein hohl klingendes Geräusch, als Biggis Fingerspitzen auf das Fernglas klopften. So ein Ziehen in der Brust, Hunger vielleicht oder etwas anderes, so ein trauriges Gefühl plötzlich, wie wenn man getreten wurde.
War es drüben auch so still wie in dieser Wohnung hier? Es stimmte, man gewöhnte sich an die altmodische Uhr und ihr Ticken. Es fiel gerade soviel Licht aus dem Flur herein, daß sie die eigenen Hände sah, die Hände auf dem Fernglas, das Fernglas auf dem Stativ. Darum konnte sie stehen bleiben, als die Henkel drüben ans Fenster kam, was ja so aussah, als springe sie Biggi ins Gesicht, wegen dem Zoom. Sie hockte sich halb auf die Fensterbank, drehte den Kopf zu ihr hin, sah ihr in die Augen, hörte nicht auf zu starren. Noch immer umklammerte ihre Hand das Glas, noch immer schimmerte das Gold darin. Biggi bewegte sich nicht. Bewegte sie sich, würden die Gardinen sich auch bewegen und das merkte sie drüben womöglich. Doch sie hatte die
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