Mina (German Edition)
wiedergeboren werden oder sogar als Gemüse.
„Oder Obst?“, fragte ich und hielt meine Banane hoch.
„Ja, manche Leute glauben, dass man als Banane wiedergeboren werden kann. Oder als Erbse oder als Rosenkohl.“
Ich biss in die Banane.
„Ich wäre nicht gerne ein Rosenkohl. Aber eine Banane! Stell dir vor, du hättest diese Farbe und diesen Geschmack!“
Ich biss noch einmal in die Banane. Wenn dortdrin eine Seele wäre, könnte ich sie schmecken? Oder waren der Geschmack der Seele und die Essenz der Banane identisch?
„Vielleicht werden gute Seelen schön bunt und schmackhaft“, sagte ich. „Und schlechte Seelen werden grün und eklig.“
„Vielleicht. Dann sind Himbeeren wohl besonders gute Seelen. Und wenn man ein Insekt werden würde, was wären dann wohl gute Seelen?“
„Libellen“, sagte ich. „Stell dir mal vor, du könntest das tun, was eine Libelle kann, und du würdest aussehen wie eine Libelle.“
„Eine gute Seele könnte auch eine Biene werden.“
„Oh ja, eine Biene!“, rief ich. „Eine Biene werden!“
„Und eine schlechte Seele?“
„Eine Kakerlake.“
„Eine Schmeißfliege.“
Ich dachte nach.
„Ich wäre gern ein Vogel“, sagte ich.
„Du wärst ein schöner Vogel.“
„Eine Lerche, die so hoch fliegt, dass man sie gar nicht sehen kann. Oder eine Katze, so schwarz wie die Nacht.“
Eine Zeit lang schwiegen wir. Wir aßen zu Mittag. Ich versuchte mir vorzustellen, was Papa sein könnte, und mir fiel ein Pferd ein – ein Tier, das stark ist und schnell, schön und stolz. Ich wollte ihn mir nicht als anderen Menschen vorstellen. Der einzige Mensch, der er sein sollte, war mein Papa, selbst wenn es nur eine Erinnerung an meinen Papa war.
„Ein anderes Wort für Seelenwanderung“, sagte meine Mutter, „ist Metempsychose. Das ist ein Wort aus dem Altgriechischen.“
„Sag das noch mal!“
„Me-tem-psy-cho-se“, sagte sie langsam.
„Me-tem-psy-cho-se!“, wiederholte ich. „Was für ein tolles Wort! Metempsychose! Metempsychose! Me-tem-psy-wunderbar-cho-se!“
Es ist wirklich ein fantastisches Wort! Schaut es euch an! Hört genau hin!
Dann betrachteten wir Bücher über Indien und Sri Lanka und lasen über den Hinduismus und den Buddhismus. Wir schauten uns Fotos des Himalaja an, und ich malte ein Bild mit schneebedeckten Bergen, während mir Mama etwas über Tibet vorlas, das Land jenseits von Indien, hoch in den Wolken. In Tibet glauben die Menschen, dass die Seele sich nachts aus dem Körper befreit und Reisen unternimmt, an die man sich als Träume erinnert. Das nennt man Astralreisen.
Astralreisen! Stellt euch mal vor, ihr würdet mit den Fledermäusen und den Eulen durch die Nacht fliegen, auf euer Haus hinabschauen, auf die Straße, die Stadt, die Welt!
Sie glauben auch, dass die ganze Welt aus einem einzigen Ei geschlüpft ist. Das finde ich durchaus vernünftig. Warum sollte das Universum nicht aus einem der erstaunlichsten, merkwürdigsten, magischsten Dinge im Universum entstanden sein? Aus einem Ei. Einem einzigen Ei. Und wenn das stimmt, dann ist das Universum wie ein Vogel, der durch die Zeit fliegt. Und jedes Mal, wenn es selbst ein Ei legt, wird ein ganz neues Universum erschaffen. Und so gibt es ein Universum nach dem anderen – eine ganze Schar von Universen, die durch die Zeit fliegen.
EIN WUNSCH & EIN GEBET
Wenn meine Seele,
nachdem ich gestorben bin,
in den Körper eines Tieres eingeht,
bete ich, dass dieses Tier ein Vogel sein wird
und dass sich meine Seele
im Körper einer Lerche
in den Himmel erhebt.
Rosenkohl, Sarkasmus und das Geheimnis der Zeit
Solche Nachmittage liebe ich: wenn wir über Dinge wie Metempsychose reden, wenn wir so vieles lernen, so viele Wunder entdecken, so vieles ergründen, wenn Ideen entstehen und wachsen, wie die Idee von dem Universum und dem Ei. Ich finde es herrlich, zu Hause zu lernen, wo wir uns nicht an Fächer, Stundenpläne und Regeln halten müssen. Ich werde jetzt seit einem Jahr so unterrichtet, seit jenem fürchterlichen Prüfungstag. Es kommt mir schon viel länger vor – vielleicht, weil ich mich einfach so frei fühle, so viel Zeit und Raum habe. Wir fühlen uns sehr wohl damit.
Mama findet allerdings, dass das nicht immer so weitergehen kann. Sie sagt, dass es mich auf Dauer zu sehr ausgrenzt, besonders, weil ich ein Einzelkind bin. Sie behauptet sogar, dass Schulen in Wahrheit gar keine Kerker und Käfige sind! Klar sind sie das, verdammt noch mal! Ich sage ihr das, und
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