Mina (German Edition)
geparkter Autos. Er war groß und er lächelte, genauso wie sie sich an ihn erinnerte, genauso wie er im Leben gewesen war. Die Luft schien wie Feuer um ihn herum zu knistern.
Er drehte den Kopf und schaute ins Zimmer B12 in der Corinth-Avenue-Schule für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen, und er schaute Mina an, die ihn von drinnen betrachtete.
Er lächelte sie an. Es war kein liebes und sanftes Lächeln, sondern eins, das sie dort traf, wo all ihre Träume geboren wurden. Er war in ihrem Kopf und ihrem Herzen, in ihrem Körper und in ihrem Blut, und sie wusste, dass trotz allem alles gut war. Dann war er weg, verblasste in dem knisternden Feuer, und dann waren da nur noch Asphalt und Autos, Luft und Sonne und die Leere des Nachmittags in der Corinth Avenue.
Sie starrte eine Weile in diese Leere. Dann blinzelte sie und schaute sich um. Niemand hatte etwas bemerkt. Sie arbeiteten weiter, badeten im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel.
Sie setzte ihren Stift auf das leere Blatt und schrieb: „In der Corinth Avenue sah ich meinen Papa, und ich war froh.“
Die Corinth Avenue war nichts für mich. Ich genoss den Tag und lernte eine ganze Menge. Ich begriff, dass Außenseiter auf vielerlei Art zusammenpassen konnten. Ich begriff, dass ich eines Tages vielleicht zu dieser merkwürdigen Welt gehören konnte. Ich mochte die Menschen dort. Ich würde mich immer an Steepy und den Garten auf seiner Brust erinnern. Aber es war nicht die richtige Zeit dafür. Ich musste zu Hause sein, bei meiner Mama, bei meinem Baum. Ich musste zu Hause unterrichtet werden.
Nachdem wir geschrieben hatten, las Malcolm die Geschichten vor. Wir hörten Geschichten über Drachen und Mörder, über ängstliche Kätzchen und wundervolle, erfundene Schicksale. Wir lachten und stöhnten und sagten, wie toll die Geschichten waren. Als ich an der Reihe war, legte ich die Worte über meinen Papa beiseite und hielt ein leeres Blatt Papier hoch. Ich schaute allen in die Augen, zum ersten Mal an diesem Tag.
„Meine Geschichte“, sagte ich, „ist eine leere Seite. Es ist eine Geschichte, in der überhaupt nichts passiert.“
Sie schauten das Blatt Papier an. Sie schauten mich an. Sie dachten über das nach, was ich gesagt hatte, und ich musste lächeln, als mir einfiel, was Mrs Scullery von so etwas halten würde.
„Das ist wie mein Rücken“, sagte Steepy plötzlich.
„Dein Rücken?“, fragte ich.
„Jawohl. Jetzt ist er noch leer. Aber du weißt ja, dass er eines Tages von etwas verdammt Wundervollem bedeckt sein wird.“
„Mit anderen Worten: voller Möglichkeiten“, sagte Malcolm.
„Ja“, sagte Steepy. „Also ist er gar nicht richtig leer.“ Er lachte mich an. „Also hat sogar eine leere Seite schon eine Geschichte.“
Wir alle nickten.
Und damit ging der Tag zu Ende.
Als ich meine Jacke anzog, kam Steepy zu mir. „Du kommst nicht wieder, oder?“
Ich zuckte mit den Schultern und senkte den Kopf.
„Wirst du nicht. Aber vielleicht irgendwann. Wir könnten gute Kumpel sein, du und ich.“
„Ehrlich?“
„Jawohl. Ehrlich.“
Auch Alicia kam zu mir. Sie strich mir über die Wange. Sie sagte Auf Wiedersehen. Ich berührte ihren Arm.
„Ich hätte beinahe auch gemacht, was du gemacht hast“, sagte ich so leise, dass sie es kaum verstehen konnte. Aber sie wusste, wovon ich sprach.
„Aber du bist vernünftig geworden“, sagte sie. „Genau wie ich.“
Wir lächelten uns an.
„Ja“, sagte ich. „Wie du.“
Mama kam. Wir bedankten uns bei Malcolm und bei Mrs Milligan.
Karl fuhr uns nach Hause. „Erzähl mal“, sagte er. „Hast du viel quak-quak-quakediquak gehört?“
„Nein.“
„Gut.“
Dann, nach einer Weile: „Jemanden erstochen?“
„Nein, gar niemanden.“
„Gut gemacht.“
„Danke, Mr Pelé.“
Mama legte den Arm um mich. Ich war mit mir selbst beschäftigt, ganz erfüllt von Erinnerungen an den Tag und dem Gedanken daran, was ich morgen tun würde.
„Also“, sagte sie. „Hast du dich eingelebt? Du hast dich heute Morgen sehr merkwürdig benommen, als ich gegangen bin.“
„Ich habe mich nicht ganz wohlgefühlt.“
„Aber später schon, oder?“
Ich seufzte. „Ja“, sagte ich. „Die Leute sind sehr nett. Es hat mir gut gefallen. Ich …“
Ich zögerte und schaute durch das Fenster auf den Verkehr. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihr einfach nichts von meiner Vision erzählen.
Sie lächelte. „Aber es ist nichts für dich, oder?“
Ich zuckte
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