Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
Hause.
22. Kapitel
Der Himmel war
bereits von einem rosa Hauch überzogen, als Mikhail Nell die Tür des Zimmers im
ersten Stock des Gray Goose Inn aufhielt.
»Bist du sicher, dass
das eine gute Idee ist?« Beide Kinder auf dem Arm trat Nell ein. Ihre Arme
zitterten vor Anstrengung, was Mikhails scharfen Augen nicht entging.
»Du bist erschöpft,
Nell. Aber keine Sorge, wir bleiben nicht lange.«
Um die Wahrheit zu
sagen, war Mikhail sich keineswegs sicher, ob es eine gute Idee war; hier Rast
zu machen. Aber sie hatten einen langen, anstrengenden Ritt durch dichte Wälder
hinter sich, und er hatte schon vor ein paar Stunden gesehen, dass Nell den
kleinen Mitja kaum noch halten konnte. Er hatte ihr den Jungen abgenommen, aber
mit zwei Kindern vor sich im Sattel war das Reiten weder bequem noch sicher.
Sie brauchten alle dringend eine Rast.
»Aber wenn sie uns
nun einholen?«, sagte Nell besorgt, setzte sich aber gleichzeitig mit einem erschöpften
Seufzer aufs Bett und legte die Kinder ab.
»Das werden sie
nicht. Und jetzt ruh dich aus, Nell. Ich schicke Morag zu dir und kümmere mich
derweil um den Pferdewechsel.«
Natürlich war es
möglich, dass man sie einholen könnte, aber dieses Risiko musste er eingehen.
Besser, sie wurden hier
überrascht, wo er sich ein Küchenmesser oder irgendeine andere Waffe aus der
Küche beschaffen konnte als mitten im Wald. Aber dass er sich derartige
Gedanken machte, brauchte Nell ja nicht zu wissen. Das wichtigste war, dass sie
sich jetzt entspannte, sonst würde sie nicht schlafen können. Ein, zwei Stunden, nahm
er sich vor. Und dann würden sie bis zum nächsten Sonnenuntergang keine Pause
mehr machen.
Das Wechseln der
Pferde hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als Mikhail vermutet hätte. Mehr
als eine Stunde war bereits vergangen, als er sich schließlich - um seine
silberne Taschenuhr erleichtert, die er für die Pferde, das Zimmer, etwas zu
essen und ein paar Münzen eingetauscht hatte - mit einer Schale Suppe auf den
Weg nach oben zu Nell machte.
Morag folgte ihm
langsam. Was für eine ungewöhnliche Frau sie war! Gerade zum rechten Zeitpunkt
war sie mit diesem Eselskarren aufgetaucht und hatte sie gerettet. Und
anschließend hatte sie sich ohne Zögern auf eins der Pferde geschwungen, die
sie auf der Postkutschenstation gemietet hatten. Sie war erstaunlich zäh für
ihr Alter.
Mikhail betrat den
Raum und sah Nell und die Kinder im Schein einer einzelnen Kerze friedlich auf
dem Bett liegen. Er lächelte. Mitja und Katja hatten sich an Nell ge kuschelt, aber ihre
Augen waren offen, und sie schliefen nicht. Dennoch waren sie ganz still, so
still wie selten. Obwohl sie einen Mordshunger haben mussten, hatten sie doch seit Stunden
nichts mehr zu essen bekommen.
Mikhail fiel ein, dass er die
Köchin um etwas Milch und Gemüsebrei für die Kinder
gebeten hatte und trat auf das Bett zu um seine Nichte und seinen Neffen an
sich zu nehmen. Aber Morag war
schneller.
»Ich muss sie
füttern«, flüsterte er, um Nell nicht zu wecken. Obwohl - hier lag eine Frau
vor ihm, die man nur mit einem Tamburin oder einem Krug kaltem Wasser wach
bekam. Abermals musste er lächeln. Unglaublich.
Morag nahm stumm die
Kinder auf die Arme und verschwand. Mikhail zögerte, als er ihre Schritte die
Treppe hinunter verschwinden hörte. Sollte er ihr nachgehen? Nein, sie konnte
so gut mit den Kleinen umgehen, er konnte das Füttern ihr überlassen. Mikhail
stellte die Schale Suppe auf einem kleinen Holztisch in der Ecke ab, trat dann
ans Bett und setzte sich.
»Nell.« Er rüttelte
sie an der Schulter, und zu seinem Erstaunen schlug sie sogleich die Augen auf.
»Na, das ging ja leicht.«
Sie blinzelte. »Ich
habe nicht geschlafen, nicht richtig.«
Mikhails Blick
richtete sich sehnsüchtig aufs Bett. Wie gerne hätte auch er sich einen
Augenblick hingelegt! Aber das durfte er nicht, er musste wachsam bleiben und
aufpassen. Er trat ans Fenster und schaute auf die verlassene Landstraße
hinunter, die im Zwielicht lag.
»Das musst du mir
irgendwann mal erklären, wie du es schaffst zu schlafen ohne zu schlafen, aber
jetzt solltest du wirklich versuchen, ein bisschen richtigen Schlaf zu kriegen,
Nell.«
Sie setzte sich auf.
Mikhail kam sie ein wenig munterer Vor als noch vor einer Stunde. Aber es
überraschte ihn nicht, dass sie nicht auf ihn hörte. Wann hörte sie schon mal
auf ihn ...
»Du musst dich auch
ausruhen.«
»Mir geht's gut,
keine Sorge.« Er schenkte ihr sein
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