Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
wären sie halbwegs geschützt. Zwar hatten sie
fast einen ganzen Tag Vorsprung, aber das genügte nicht.
»Sie sind nicht
hier.«
»Ach ja?« Der Schurke
schien ihm nicht zu glauben. »Und wie soll das zugegangen sein? Ich habe das
Haus nämlich seit Tagen nicht aus den Augen gelassen, Belanow. Sie sind noch
hier.«
Mikhail log nur
selten, aber wenn er es tat, war er gut darin. Der Trick war, so dicht wie
möglich bei der Wahrheit zu bleiben. »Nein, sie sind fort. Sie waren als
Dienstmägde verkleidet.«
»Der Pferdekarren!«
David sprang erzürnt auf. »Wusste ich's doch! Verdammtes Jucken!«
Mikhail hatte keine
Ahnung, was der Mann meinte, und es war ihm auch egal. Sein Blick war auf den
Brieföffner gefallen, der auf dem Schreibtisch lag. Langsam und unter dem
Vorwand, sich zu fürchten, wich er zum Schreibtisch zurück. »Hören Sie, ich
weiß nicht, was Sie wollen, aber wer immer Sie auch bezahlt, ich verdopple das
Angebot.«
David grinste zufrieden
und trat einen Schritt näher. Es gefiel ihm, dass er seinen Gegner
eingeschüchtert hatte. »Sie werden mir jetzt sofort verraten, wo sie sind.«
Die Augen ängstlich
auf die Waffe seines Gegners gerichtet, die Hände abwehrend vorgestreckt, wich
Mikhail noch einen Schritt zurück. »Verschonen Sie mich, wenn ich es Ihnen
verrate?«
David gluckste. »Na klar. Also, wo
sind sie?«
Der Brieföffner war nun in
Reichweite, sein Gegner aber noch nicht. Mikhail beschloss ihn zu provozieren, um
ihn anzulocken. »Und das soll ich
glauben? Sie sind ein dreckiger Lügner. Aus mir kriegen Sie nichts raus!«
Sein Plan
funktionierte. Zu gut sogar. Mikhail krümmte sich stöhnend unter einem
unerwarteten Magenschwinger seines Gegners.
»Und jetzt raus mit der
Sprache! WO SIND SIE?«
Mikhail hielt
keuchend den Kopf gesenkt, während er verstohlen den Brieföffner lokalisierte.
Ihm blieb nur ein einziger Versuch. Wenn der fehlschlug, war sein Leben
verwirkt.
Und möglicherweise
auch das von Nell und den Kindern.
David packte Mikhail
am Hemd, um ihn hochzureißen. Die Hand, in der er die Waffe hielt, hing lose an
seiner Seite herab.
»ICH SAGTE ...«
Seine Worte
erstickten in einem Gurgeln. Der Brieföffner steckte in seiner Kehle, und Blut
sprudelte hervor, während Mikhail seinem Angreifer bereits die Pistole entwand.
24. Kapitel
Nell stand blinzelnd
in der großen marmornen Eingangshalle. Ihre Augen brauchten einen Moment, um
sich nach der langen Zeit in der abgedunkelten Kutsche an das helle Tageslicht
zu gewöhnen, das durch die hohen Fenster hereinströmte. Katja hob ihr kleines
Köpfchen von Nells Schulter und versuchte aus der dicken Decke herauszuschauen,
in die sie und ihr Cousin gewickelt waren, gab jedoch rasch auf und schlief
weiter, ebenso wie Mitja. Nell, die beide Kinder im Arm hielt, trat vorsichtig
näher. Bewundernd hing ihr Blick an der hohen Decke mit den wunderschönen
farbigen Fresken. Sie hatte geglaubt, Shelton Hall sei unübertrefflich
prächtig, doch dieses Haus, das Haus seiner Schwester, stellte es noch in den
Schatten.
Ein wohlhabender
Gentleman? Von wegen! Mikhail war unverschämt reich und seine Schwester ebenso,
wie es schien. Es würde sie nicht überraschen, wenn sich herausstellte, dass er
sogar einen Adelstitel besaß. Und dieser Mann spielte ihren Ehemann! Irgendein kleines
Teufelchen lachte sich jetzt gerade sein schwarzes Herz aus dem Leib.
»Ist das zu fassen!
Nicht daheim! Also so was!«
Nell warf einen Blick
auf die Frau, die ihnen seit zwei Tagen nicht mehr von der Seite gewichen
war, und seufzte.
Lady Caroline Denver
war es, die ihnen ihre Kutsche hat - ausleihen sollen - Mikhails gute Bekannte. Und zu ihrer
Verteidigung musste man sagen, dass sie dies auch sofort getan hatte, nachdem
sie Mikhails Schreiben gelesen hatte - nur dass sie beschloss, sich ihnen
anzuschließen, war unerwartet. Seitdem hatte Nell mehrmals gegen das Bedürfnis
ankämpfen müssen, sich mitsamt den Kindern aus der fahrenden Kutsche zu werfen.
Bei den chinesischen
Meistern der Langmut, diese Frau redete ohne Punkt und Komma! Über ihren
Bruder, über ihre Cousinen, ihre Pferde und ihre Dienstmägde. Da sie Nell und
Morag offenbar für solche hielt, hatte sie nicht aufhören können, sich über das
heutige Personal zu beschweren: Wie schwer es doch sei, anständige Dienstmägde
zu finden, wie impertinent die meisten seien und wie verdorben in ihrer Moral.
Nell bezweifelte, dass der Lady klar war, wie
beleidigend ihre Äußerungen waren.
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