Mindfuck: Warum wir uns selbst sabotieren und was wir dagegen tun können (German Edition)
kümmern. Auf der einen Seite wissen sie, dass das heute völlig in Ordnung ist und es wichtig für sie ist, sich mit ihrem beruflichen Fortkommen zu beschäftigen. Auf der anderen Seite gibt es die Stimme aus alten Zeiten, die fragt: Darfst du das überhaupt? Darfst du als Mutter überhaupt an dich selbst denken? Wir können daran beobachten, wie die beiden Einstellungen parallel in unserem Denken existieren und uns in innere Nöte bringen.
Ich kenne aus meiner Arbeit zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie lebendig nicht nur die Logik und Struktur des autoritären Denkens, sondern auch die damit verbundenen Ängste vorhergehender Generationen bis heute sind.
Der Mann, der den dritten Weltkrieg kommen sah
Vor einigen Monaten konnte ich das eindrucksvoll nach einer Geschäftsbesprechung in meinem Büro erleben. Ich und mein Gegenüber, ein normalerweise vor Optimismus und Tatkraft strotzender Mittvierziger, kamen beiläufig auf das Thema Finanzkrise zu sprechen. Er war gerade dabei, seinen Laptop einzupacken, da murmelte er: »Das wird sowieso alles ganz böse ausgehen. Ich glaube, wir können uns schon mal auf den dritten Weltkrieg einstellen. Ist doch klar, war doch immer so. Und dann braucht es Krieg, um das alles wieder zu bereinigen. Aber diesmal gibt es weniger Überlebende.« Bum, zack. Da war er also, ein ausgewachsener Katastrophen- MINDFUCK allererster Güte. Es fiel ihm gar nicht auf, welche Stimme sich da im Gespräch mit einer Geschäftspartnerin zu Wort gemeldet hatte, denn im nächsten Moment hatte er wieder sein gewinnendes Strahlen aufgesetzt, und er versicherte mir, wie sehr er sich über unsere Zusammenarbeit und auf den nächsten produktiven Termin freue.
Dieser Unternehmer wusste wahrscheinlich selbst nicht, dass er eine These wiederholte, die im letzten Jahrhundert in kommunistisch gefärbten Kreisen weit verbreitet war. Diese sah die angeblichen Wirkungsmechanismen des Kapitalismus als vermeintliche Ursache des Zweiten Weltkriegs. So glaubte man, dass der »imperialistisch agierende Kapitalismus« automatisch zum Krieg führen müsse, um neue Nachfrage zu erzeugen oder weitere Märkte zu erobern. Der Mann, mit dem ich im Jahr 2010 über die Finanzkrise sprach, war sich sicherlich nicht bewusst, welche Tradition er da wiederbelebte. Aber er belebte Denkmuster, die in der Generation vor ihm viele Menschen glaubten, und er übertrug sie, typisch für
MINDFUCK
,
unbesehen auf die Situation unserer Gegenwart. Welches monströse und blutige Kriegsszenario er da gerade mitten in unser friedliches, von Kaffeeduft durchflutetes Besprechungszimmer brachte, fiel ihm gar nicht auf.
Die Vergangenheit, das sehen wir daran, liegt zwar Jahrzehnte und Jahrhunderte hinter uns. Auf ihre Art lebt und wirkt sie aber weiter in uns fort. Auch wenn wir heute glücklicherweise in einer Zeit angekommen sind, die weit weniger autoritär ist als früher, so ist das autoritäre Denkmuster in allen von uns dennoch weiterhin aktiv, wenn wir uns selbst sabotieren.
Im
MINDFUCK
-Modus fallen wir also in doppelter Weise zurück. Einmal in die Perspektiven unserer Kindheit, wenn wir aus dem Eltern- oder Kind-Ich sprechen, und ein anderes Mal in die Denkmuster und Überlebensstrategien unserer Vorfahren. Heute ist das natürlich weder zeitgemäß noch hilfreich. Denn die Welt hat sich verändert. So schnell und so stark wie noch nie zuvor. Und das ist der Grund, warum
MINDFUCK
heute keine angemessene Denkstrategie, sondern mentale Selbstsabotage ist.
Hier und Heute
Als Mitte der 80er Jahre das Buch »Risikogesellschaft« [18] des Soziologieprofessors Ulrich Beck erschien, wurde es nach kurzer Zeit ein Bestseller. Beck hatte mit seinen Hypothesen den Nerv der Zeit getroffen.
Ansprüche auf ein eigenes Leben
Beck und seine Forschungsgruppe behaupten, dass wir in den westlichen Gesellschaften am Ende des 20. Jahrhunderts einen beispiellosen Umbruch erleben würden. Traditionen und seit Jahrhunderten geglaubte »Wahrheiten« würden nicht mehr gelten, zugleich seien in der modernen Gesellschaft »Ansprüche auf ein eigenes Leben« [19] entstanden, die es so vorher niemals gegeben habe. Früher seien Menschen in eine Gesellschaft mit klaren, vorgegebenen Strukturen geboren worden. Der heutige Mensch aber finde diese Strukturen nicht mehr, er müsse sie sich – jeder für sich – selbst schaffen. Fragen, die vorher insbesondere die Religion beantwortet habe, müsse sich jeder Mensch heute selbst beantworten.
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