Mindhunter - Tödliche Gabe (German Edition)
Satz für ihn. Sie hatte im CoffeeBoy an der Route 9 haltgemacht und sich schnell mit der Plastikschere, die sie immer bei sich hatte, die Haare wieder kurz geschnitten. Und war dabei nicht allzu geschickt gewesen. Aber es war nicht ihr Haar, wovon er sprach. »Das liegt nicht daran, dass ich verwundet wurde. Das liegt daran, dass ich in Wirklichkeit, na ja, nun mal beschissen aussehe. Das ist eben … mein Gesicht. So sehe ich aus, wenn ich nicht einen Typen anmache.«
»Blass wollte ich eigentlich sagen«, sagte er. »Und müde. Du siehst nicht –«
»Ja, müde, keine Frage«, fiel sie ihm ins Wort. Klar, was sollte er schon auf beschissen antworten, egal, wie zutreffend die Beschreibung war. »Ich habe immer noch nicht gelernt, meine Schlafzyklen zu kontrollieren. Bach kommt mit vielleicht sechs Stunden einmal die Woche hin. Das schaffe ich nicht annähernd. Aber deswegen sehe ich nicht so aus … wie ich aussehe. Heute.«
Die Aufzugstür öffnete sich zum zweiten Untergeschoss, und Mac ging voran in die Vorhalle zu den Tunneln. Sie war glücklicherweise leer.
»Die Tunnel haben Farbcodes«, unterbrach sie ihre Beichte. Der übliche Fremdenführerkram kam ihr gerade gelegen.
Doch er unterbrach sie: »Schon klar«, sagte er. »Dr. Zer…, Elliot hat mir gestern alle Infos gegeben. Der blaue Weg bringt mich zurück zu den Wohnungen. Gelb führt in die Klassenzimmer für die Potenziellen. Rot führt zur Klinik.« Er lachte ein bisschen, was um seine Augen herum bezaubernde Fältchen erscheinen ließ. »Für den Fall, dass ich vergesse, die Schilder zu lesen.«
»Nicht jeder, der hierherkommt, kann lesen«, verteidigte sich Mac etwas schwach, als sie sich auf den Weg in den hell erleuchteten Gang mit der Linie aus blauen Fliesen entlang der Wand machten. Das öde Thema war allemal besser als weitere Beichten. Wenn sie lang genug weiterredete, erreichten sie seine Wohnung, ohne dass sie es aussprechen musste. Und dann würde sie die Bombe platzen lassen und abhauen. Schnellstens. »Manche sind sehr kleine Kinder. Und einige von unseren Potenziellen können kein Englisch. Nicht viele, aber manche werden aus anderen Ländern rekrutiert.«
Shane ließ sich bereitwillig auf das Thema ein: »Ich weiß immer noch nicht genau, wie ich auf die Rekrutierungsliste des OI gekommen bin. Ich habe aus heiterem Himmel eine E-Mail bekommen – in der ich eingeladen wurde, am Programm teilzunehmen, aber …«
Mac blickte ihn wieder an – und merkte, dass er sie aus den Augenwinkeln ansah. Zweifellos kam er immer noch nicht darauf, was an ihr anders war. Wahrscheinlich dachte er einfach, es wäre der Morgen-danach-Effekt, der seine hässliche Fratze zeigte. Sozusagen. Obwohl sie keine Abscheu von ihm empfing – bloß Verwirrung. Gemischt mit – verdammt – einem echten Anklang von Verlangen und – Scheiße – einem Hauch von Zuneigung. Perfekt.
Der Sex, den sie miteinander gehabt hatten, war eindeutig gut genug gewesen, dass er eine Wiederholung wollte – egal, wie sie jetzt aussah. Natürlich war es auch möglich – sogar ziemlich wahrscheinlich –, dass das, was sie auch immer mit ihren charismatischen Kräften mit ihm angestellt hatte, noch nicht ganz verflogen war.
»Wie lang warst du denn raus aus dem Militär?«, fragte sie, entschlossen, die allzu beschämenden Gedanken zu verscheuchen und sich der Frage nach der Anwerbung zuzuwenden.
»Nicht ganz ein Jahr«, sagte er.
»Gut, dann war es das nicht«, sagte Mac. »Ich dachte, vielleicht war deine medizinische Akte gerade erst öffentlich geworden, und … Warst du in den letzten paar Monaten mal im Krankenhaus?«
»Nein«, sagte Shane. »Aber ich habe vor ungefähr zwei Monaten einen kompletten medizinischen Scan bekommen. Ein Drogentest für, du weißt schon. Die Sache mit dem Cage Fighting.«
Mac blickte ihn etwas scharf an.
»Was denn?«, sagte er und hielt ihrem Blick stand. »Dachtest du, ich verarsch dich? Ich stehe auch wirklich auf der schwarzen Liste, Michelle . Ich bin nicht derjenige mit den ganzen Geheimnissen – bis hin zu der Tatsache, dass du einen gebrochenen Fußknöchel hattest, als du es mit mir getrieben hast. Himmel! Hat das auch so höllisch wehgetan, als es verheilt ist?«
»Nein«, sagte sie, überrascht und perplex über seine Direktheit. Eigentlich hätte das Ganze doch eine peinliche Angelegenheit sein müssen, über die sie beide besser nicht mehr sprachen. Und trotzdem sah er sie an, als könnte er sein Glück, sie
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