Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
Abenden pro Woche nach Oakham zur Abschlußklasse fuhr. Zwei Stunden nur dasitzen und nicht arbeiten müssen. Himmlisch!
Die Erwachsenenkurse oder einfach die Gelegenheiten, aus dem Kibbuz herauszukommen und zu sehen, daß es auch ein anderes Leben gab, hatten ihr die Saat der Rebellion eingepflanzt, die letztlich zu ihrer Begegnung mit Greg an jenem Abend vor zwei Jahren führte. Sie verfügte über alle nötigen Kenntnisse, um die Landwirtschaft zusammen mit Greg zu betreiben, obwohl sie immer noch mit der Idee spielte, wieder zur Schule zu gehen und weitere Qualifikationen zu erwerben. Einer dieser warmen, nebelhaften Tagträume, die dabei halfen, ein bißchen leichter durchs Leben zu flutschen, ein Was wäre wenn, das ein klein wenig mehr darstellte als eine müßige Phantasie.
Heute genoß die Ausbildung der Kinder natürlich Priorität bei den Neokonservativen, eine echte Priorität, nicht nur eine programmatische Verlautbarung. Einer der Gründe für die derzeitigen Inflationsspitzen waren die Summen, die das Finanzministerium drucken mußte, um Schulen instandzusetzen und sie mit moderner Einrichtung auszustatten. Das behauptete Julia zumindest. Aber andererseits war es auch Julia, die darauf beharrte, daß so schnell wie möglich wieder eine umfassende Bildung auf die Beine gestellt wurde.
Nur weil sie Computerkundige braucht, die in ihren Cyberfabriken arbeiten. Und was Julia wollte, tat Marchant; so lautete der Chor der Opposition. Und warum bin ich heute morgen so zynisch?
»Du warst vor zehn Schritten schon tot«, sagte eine rauhe weibliche Stimme direkt neben ihr.
Eleanor drehte sich um. Es war Suzi.
Das Trinities-Mädchen reichte Eleanor nur bis zum Halsansatz; sie war so schlank, daß sie schon fast geschlechtslos wirkte, hatte zu Dornen aufgestecktes purpurfarbenes Haar und ein knochiges Gesicht. Sie trug eine enge schwarze Jeans und ein braunes Trikothemd unter einer neuen, ledernen Motorradfahrerjacke mit aufgeprägtem Trinities-Symbol auf der rechten Brustseite – eine Faust, um ein Dornenkreuz geschlossen, von dem Blut tropfte. Ihr Alter war einfach nicht zu bestimmen, obwohl Greg sagte, sie wäre Mitte Zwanzig. In einem Girlie-Sommerkleid wäre sie als Fünfzehnjährige durchgegangen.
Sie grinste zu Eleanor hinauf.
»Ich hab’ dich schon herumschleichen gesehen, als ich aus dem Ranger gestiegen bin«, sagte Eleanor so herablassend wie möglich. »Ich wollte nur deinem Ego nicht weh tun, mehr nicht.«
»Absoluter Quatsch!«
Eleanor lachte, verzichtete aber gewissenhaft darauf, Suzi das Haar zu zerzausen. Ungeachtet ihrer maskulinen Angeberei war Suzi sehr empfindlich, was ihre fehlenden Zentimeter anging. Eleanor hatte das Trinities-Mädchen kennengelernt, als Greg seinen ersten Fall für Event Horizon bearbeitete. Es war ihre erste Erfahrung mit dem Hardlinergeschäft gewesen – und sie betete zu Gott darum, daß es auch ihre letzte war. Sie beide waren bei dem Einsatz verletzt worden, obwohl Suzi die mit Abstand schlimmeren Wunden erlitten hatte.
Eleanor wußte nach wie vor nicht so recht, ob Suzi und sie nun befreundet waren oder nicht; Suzi zeichnete sich durch ein sehr schlichtes Sozialverhalten aus. Das Wort oder Konzept Beziehung stand im geistigen Lexikon eines Stadtgang-Mitgliedes nicht fettgedruckt. Immerhin war ein gewisser Respekt erkennbar, was einen großen Fortschritt darstellte; Personen, die keiner Stadtgang angehörten, wurden sonst mit vollständiger Verachtung gestraft.
»Weshalb bist du gekommen?« fragte Suzi, während sie den Hang zur Siedlung Mucklands Wood hinaufgingen.
»Ich muß mit Royan reden.«
»Yeah?«
Eleanor grinste angesichts dieser unverblümten Neugier. »Greg arbeitet wieder an einem Fall.«
»Kein Scheiß? Ich dachte, du wolltest das nicht mehr zulassen.«
»Habe ich auch nicht. Aber Julia hat ihn drum gebeten.«
Suzi lachte entzückt. »Jesus, dieses Mädchen umgeht die Gehirne der Typen und nimmt direkt Verbindung mit ihren Eiern auf! Was hat sie, das mir fehlt?«
»Zehn Billionen Pfund und die Frisur einer mittelalterlichen, jungfräulichen Prinzessin.«
Sie lachten gemeinsam.
Als sie sich der Siedlung näherten, zog Suzi eine große Luger-Maserpistole aus dem Schulterhalfter und trug sie ganz offen.
Mucklands Wood erinnerte Eleanor immer an alte Sowjetstädte aus dem vergangenen Jahrhundert. Es war ein kultureller und architektonischer Rückgriff auf wohlüberlegten Realismus: Billige städtische Wohnungen, der Beitrag der PSP
Weitere Kostenlose Bücher