Mindstar 02 - Das Mord-Paradigma
demselben Weg begleitet, um dieselbe Person zu besuchen. Selbst in Anbetracht der zwei Jahre Zeitunterschied fielen die Unterschiede deutlich aus. Mehr Verkehr, mehr Menschen, mehr Eile, weniger Toleranz. All das lag an Julia. Die Ankunft von Event Horizon hatte die ohnehin schon dynamische Wirtschaft der Stadt regelrecht hochfrisiert, in den Schnellgang getrieben. Nach zehn Jahren fruchtbaren Wachstums und finanzieller Vitalität hatte Peterborough noch immer nicht den typischen Elan einer Grenzstadt verloren. Alle leisteten Überstunden und hetzten auf Geheiß unmöglicher Direktiven umher. Und alle schienen an der zwanghaften Macher- Atmosphäre zu gedeihen.
Mein Gott, wohin führt uns der Wiederaufbau? Verkehrsstaus und Yuppies?
Wenigstens verbrannte keines der Fahrzeuge Benzin. Nicht einmal Julia konnte diesen einfachen Weg nehmen. Energieerzeugung und -versorgung wurden landesweit wieder zum Problem. Weltweit, behauptete das Fernsehen. Solarzellen konnten den industriellen Bedarf einfach nicht decken, und Kohle kam nicht in Frage. Staudämme waren in Anbetracht des erhöhten Niederschlags eine Möglichkeit für England, aber die chronische Bodenknappheit des Landes schloß das nahezu aus. Gezeitenwehre waren machbar, aber dabei handelte es sich um große Anlagen mit Bauzeiten von bis zu einem Jahrzehnt. England brauchte die Energie aber jetzt. Peterborough verfügte neben seiner Quote aus dem strapazierten kommerziellen Versorgungsnetz über seine Wirbelturbinen, aber selbst damit blieb die Stadt ein gutes Stück hinter dem Bedarf zurück, der von Event Horizon, den Kombinaten und der Fülle an kleineren Unternehmen für Leichtmaschinenbau in den Vororten ausging.
Eleanor konnte sich einfach nicht vorstellen, woher Julia die Energie für den Turm und die Cyberanlagen nehmen wollte, die sie bei Prior’s Fen errichten ließ. Fusion schied dabei aus; der JET5-Reaktor bei Cullham war seit einem Jahr in der Gewinnzone, aber die kommerzielle Nutzung lag immer noch sieben oder acht Jahre in der Zukunft und würde, wie es aussah, mindestens so teuer werden wie Kernspaltung. Vielleicht hatte Julia ja vor, Strom mit alten Öltankern heranzuschaffen, die man umgebaut und mit Gigaleiterzellen vollgestopft hatte.
Man konnte sie in Äquatorhäfen aufladen; die Energie war vorhanden, wenn Julia die neuen Wüstengebiete Afrikas und Asiens mit ein paar hundert Quadratkilometern von Solarzellen zupflasterte. Das Prior’s-Fen-Projekt war sicherlich nach einem Riesenmaßstab dieser Art geplant.
Die Frühstücksnachrichten im Fernsehen hatten viel Zeit auf Berichte von Julia verwandt, wie sie den ersten Beton in das Fundament ihres neuen Hauptquartiers kippte. Eleanor und Greg hatten sich das vom Bett aus angesehen, während sie Toast aßen und Tee tranken und die stille Zeit des Zusammenseins genossen. Denn Eleanor wußte verdammt gut, daß es am heutigen Tag die einzige bleiben würde.
Der Verkehr floß jetzt schneller, und ihre drei behelmten Kradbegleiter legten etwas Vorsprung zu. Sie kam an der Einfahrt zur Siedlung Milton Park vorbei. Normalerweise benutzte sie sie als Abkürzung nach Bretton, aber zu dieser Tageszeit hätte sie sich den Weg durch den Verkehr im Industriegebiet Park Farm freikämpfen müssen. Da blieb sie lieber auf der Fernstraße.
Ein Kometenschweif aus roten Bremslichtern leuchtete vor ihr auf.
Bretton war ein Bienennest an Bautätigkeit. Im PSP-Jahrzehnt hatte man den Bezirk vernachlässigt, während die bunte Entwicklung im ehemaligen Grüngürtel boomte; jetzt stand die Gegend bei Häusermaklern wieder hoch im Kurs, trotz ihrer strategisch so nachteiligen Lage zwischen Mucklands Wood und Walton. Wohn- und Industriegebäude rangelten in alten Parklandschaften um Platz, und die Straßen dienten als Parkplätze für die Laster verschiedener Bauunternehmen.
Eleanor parkte hinter einem Tieflader, der zwei fabrikneue Kipplaster geladen hatte. Das erste, was sie vermißte, waren die Kinder. Bretton hatte früher von ihnen gewimmelt.
Höchstwahrscheinlich hatte man sie zusammengetrieben und zur Schule gekarrt. War auch richtig so. Zuviel mußte nachgeholt werden. Das eine, was Eleanor stets bedauerte, war, daß sie keine förmliche Bildung genossen hatte; im Kibbuz hatte man sie nur in den Basisfächern Lesen, Schreiben, Rechnen und Datenbanken unterrichtet und sie dann schnurstracks in Viehwirtschaftskurse geschickt. Damals hatte ihr das Spaß gemacht, denn es bedeutete, daß sie an drei
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