Mindstar 03 - Die Nano-Blume
Laut Datenprofil gehörte sie seit neunzehn Jahren zu Julia Evans’ Umgebung, zunächst als Leibwächterin, dann, als sie zu alt fürs Hardlinergeschäft geworden war, als persönliche Assistentin.
Sie empfing Charlotte mit einem fragenden Blick. Durchschaute sie augenblicklich, und Herablassung zeigte sich. »Ja?«
»Würden Sie bitte dafür sorgen, daß Julia Evans das hier erhält?« Charlotte überreichte ihr die Schachtel. Sie war fünfundzwanzig Zentimeter lang, zehn breit und hatte eine durchsichtige Oberseite, durch die man die einzelne malvenfarbene, trompetenförmige Blume darin erkennen konnte. Um die Mitte war eine weiße Schleife gebunden.
Rachel Griffith nahm die Schachtel reflexartig entgegen und bedachte sie mit einer abschätzigen Musterung. »Von wem ist das?«
»Eine Karte ist beigefügt.« Ein kleiner schwarzer Umschlag steckte unter dem Band. Charlotte hatte nicht den Mut, ihn zu öffnen und die Nachricht selbst zu lesen. Als sie sich abwandte, sagte sie noch: »Vielen Dank auch.« Ganz zuckersüß und nett, um zu demonstrieren, wie gleichgültig ihr das alles war. Und wurde mit einem verärgerten Blick von Rachel Griffith belohnt.
Rachel Griffith würde die Schachtel jetzt nicht mehr vergessen. Charlotte war mit sich zufrieden, weil sie die Verbindung mit so viel Haltung hergestellt hatte. Wie viele Leute hätten es geschafft, ein Geschenk für die reichste Frau der Welt persönlich zu überbringen und auch sicherzustellen, daß es sein Ziel erreichte? Verdammt, Baronski hatte ihr wirklich viel mehr beigebracht als Etikette und Kultur! Es hatte etwas von einer Kunst an sich, in einer solchen Gesellschaft richtig aufzutreten. Vielleicht hatte Baronski sie deshalb ausgewählt. Sein Späher im Personal des Waisenhauses mußte eine angeborene Fähigkeit in ihr entdeckt haben. Charakter war in diesem Spiel wichtiger als Schönheit.
Charlotte ließ sich zweimal zum Tanz auffordern, ehe sie sich nach dem neuen Kunden umsah. Sie wollte verdammt sein, wenn sie die Party nicht ein bißchen genoß. Die jungen Männer waren charmant, wie immer, wenn sie glaubten, mit ihresgleichen zu reden. Beide waren in den Zwanzigern, und einer besuchte die Universität Oslo. Sie waren gute Tänzer.
Sie glaubte, den Widerling vom Flughafen in einer weißen Kellnerjacke zu sehen, während sie auf der Tanzfläche war. Aber er stand auf der anderen Seite des Ballsaals mit dem Rücken zu ihr, so daß es schwer zu sagen war, und sie hatte ganz bestimmt nicht vor, mit dem Tanzen aufzuhören, nur um nachzusehen.
Sie entdeckte Jason Whitehurst in einem der Nebenzimmer, einem Zufluchtsort für die älteren Herrschaften, mit reichlich vielen großen Ledersesseln und Kellnerservice. Baronskis Datenprofil gab an, daß Jason Whitehurst Sechsundsechzig war, ein reicher unabhängiger Händler mit einem Netz von Frachtagenten rings um den Globus. Sie fand, daß er wie ein russischer Zar wirkte, aufrecht, mit spitzem weißem Bart und einer Galauniform der Königlichen Husaren. Er hatte sich eine dezente Reihe von Ordensbändern an die Brust geheftet. Charlotte erkannte darunter das für die Teilnahme am Mexikofeldzug. Seine Augen mußten Implantate sein; sie waren so klar und so erstaunlich blau.
Dem Profil zufolge hatte Jason Whitehurst einen Sohn, aber keine Ehefrau. Charlotte war darüber erleichtert. Ehefrauen stellten eine Komplikation dar, auf die sie gut verzichten konnte. Einige ignorierten sie einfach, andere behandelten sie wie eine Tochter, und am schlimmsten waren die, die zusehen wollten.
Jason Whitehurst unterhielt sich gerade mit einem gleichaltrigen Paar; die drei standen zusammen und hielten große Brandygläser in den Händen. Charlotte ging direkt auf sie zu und stellte sich vor.
»A ja, der alte Baron hat mich informiert, daß Sie hier sein würden«, sagte Jason Whitehurst. Sein Ton war schön knapp und präzise. Whitehurst winkte seinen Freunden noch einmal kurz zu und entfernte sich.
Charlotte gefiel das – keine falsche Fassade, keine Farce, sie wäre eine Verwandte oder die Tochter eines Freundes. Das kündete von perfektem Selbstbewußtsein; Jason Whitehurst brauchte sich nicht darum zu scheren, was irgend jemand sonst dachte. Er konnte sich als guter Kunde erweisen, überlegte sie; Leute wie er taten das immer. Ein Mann, der im Leben Erfolg gehabt hatte, war nicht geneigt, sich kleinlich zu geben. Nicht, daß es jemals um Geld gegangen wäre. Eine feste Routine war vorgegeben, und es bestand
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