Mindstar 03 - Die Nano-Blume
Gebäude drei war der große Bruder der ersten beiden; der Außenring ragte fünfzehn Stockwerke hoch auf und hatte einen Durchmesser von sechzehnhundert Metern. Eine Meile nannte man das in Birmingham, wo Victor aufgewachsen war und wo man sich immer noch an das wahre England von Pint und Zoll klammerte; darin drückte sich die Sturheit von Menschen aus, die verängstigt waren durch die scheinbar unaufhörlichen Veränderungen, wie sie die Erwärmung zu Beginn des Jahrhunderts mit sich gebracht hatte. Das Streben nach einer stabilen Zuflucht in überkommenen Bräuchen.
Raumgleiter, große Deltaflügler, summten anmutig über den Himmel; teils setzten sie aus dem Westen zur Landung an, teils brausten sie nach dem Start gen Osten. Die lange Reihe von Landeplätzen, die für sie bereitstanden, war entlang der alten Startbahn von Duxford angelegt worden, erinnerte sich Victor. Er hatte nur noch vage Vorstellungen von der ursprünglichen Geographie des Kriegsmuseums und konnte sich kaum noch an den Zustand des Geländes erinnern, ehe vor siebzehn Jahren Gebäude eins hochgezogen worden war. Die Veränderungen waren nicht zum Stillstand gekommen, als der Treibhauseffekt den Höchststand erreichte; falls überhaupt, hatten sich die Wirrungen verdoppelt.
Gebäude vier war halb fertig und entsprach von den Ausmaßen her Nummer drei; die ersten drei Stockwerke aus Glas standen schon. Die grünsilbernen Scheiben wirkten organisch, eine Kruste, die über die nackte Beton- und Kompositkonstruktion hinwegwuchs. Und Victor wußte, daß Julia inzwischen Vorgespräche über Gebäude fünf mit den Banken und Finanzhäusern führte.
Nach all dieser Zeit noch, nachdem er den geheimnisvollen Evans-Nimbus durchschaut und Julia wütend, verängstigt, traurig und betrunken erlebt hatte, war sie für Victor immer noch eine ehrfurchtgebietende Gestalt. Die Leute waren von ihrem Reichtum fasziniert und geblendet. Niemand verstand sie; Tausende von Kritikern, Nörglern und Heckenschützen nahmen sie aufs Korn. Alle behaupteten sie, sie könnten den Job besser erledigen. Victor wußte es besser; Julia machte sich wirklich etwas aus dem Land. In dieser Hinsicht war sie in einem Zeitalter des Multinationalismus und schwindender Grenzen wirklich einzigartig; sie bestand darauf, daß alle wichtigen Abteilungen von Event Horizon ihren Standort in England hatten – die Programmierer, die Forschungsteams, die Produktentwickler, die Fabriken, in denen die Ware- Chips entstanden. Andere Länder erhielten die Montagebänder, die blechklopfenden Zweigstellen, während das Herzstück jedes Event-Horizon-Produkts in England gebaut wurde. Hier war die wirkliche Arbeit zu Hause, die wirkliche Aufgabe, das wirkliche Geld. Der Hauptgrund, warum Englands Handelsbilanz permanent schwarze Zahlen schrieb.
Und Duxford war der Hauptgewinn. Mehr als die Hälfte der Einkünfte, die das Unternehmen aus den Lizenzgebühren für den Gigaleiter bezog, hatte man hier investiert. Das Institut vereinigte alle technischen Disziplinen der Menschheit, verlangte dem Erfindungsreichtum alles ab und verschaffte England damit einen unschlagbaren technischen und wirtschaftlichen Vorsprung vor den übrigen Nationen der Europäischen Marktallianz. Nebenverträge zu Raumfahrthardware wurden nur mit englischen Unternehmen geschlossen. Die Zulieferindustrie, die sich entwickelt hatte, um Julias Raumfahrtprogramm zu versorgen, bot über einer Million Menschen sichere Arbeitsplätze; das Institut selbst beschäftigte allein in Duxford hundertfünfzigtausend Menschen, wozu noch mehr im Orbit und oben in New London kamen.
Die Summen, die Julia in Verarbeitungsmodule im Orbit und in New London steckte, waren erschreckend. Sie tat das jetzt seit fünfzehn Jahren ohne Unterbrechung, ohne jemals Schwäche oder Zweifel zu zeigen. Und erst jetzt stellten sich erste anständige Erträge ein. Niemand sonst zeigte derartige Zuversicht – sei es in die eigene Vision, sei es in die Wissenschaftler, Techniker und die Astronauten, die den Asteroiden eingefangen hatten. Victor wußte: Wäre es nach ihm gegangen, hätte er die Raumfahrt schon längst den Kombinaten und staatlichen Agenturen überlassen.
Ohne Julia Evans sähe es in der Welt viel armseliger aus. Sie machte sich etwas aus Menschen, und niemand würdigte das. Außer ihm.
Victor brach diesen Gedankengang ab. Du alberner Trottel, wies er sich zurecht.
Eddie Coghlan, Leiter der Sicherheitsabteilung des Instituts, stand vor der offenen
Weitere Kostenlose Bücher