Mingus
flachen Tal …«
»Papa, Papa, lebst du noch?«, schreie ich.
»… und noch anderes, Gold, hörst du zu? Das ist ein gelbes Metall. Das ist wertvoll … das habe ich …« Er zittert wie bunter Rauch, und ich höre ihn kaum noch.
»Papa, bist du böse auf mich?«, wimmere ich. Er löst sich auf.
»Hol’s … Hohlkopf …!« Nur ein Hauch. Er ist weg.
So hat er mich oft genannt.
Der Habichtmann wacht auf und sagt, jetzt sei alles klar. Wir bräuchten die Waffen, und die Tage des Präsis wären gezählt. Papa hat er nicht gesehen und gehört, ich frage ihn sofort danach.
NIN
Es ist Morgen. Die Nachtschicht rückt ab.
In einem dichten, lärmenden Trupp von Köchen, Gärtnern und Reinigungskräften kommen Gonzo und ich durchs große Tor der Oberstadt und hinaus. Gonzo trägt seine Metallfolie. Ich aber habe schon vor Tagen in der Küche das graue Kapuzenkleid gefunden und kürzer genäht. Ich habe nicht gewagt, es zu waschen, die Wascheinheit erinnert sich an jedes Teil. Das Kleid riecht streng. Parfum habe ich nicht eingepackt.
Wir laufen durch die Straßen, bis mir die Füße wehtun. Es ist heiß, und die Luft ist schmutzig. Die Straßen sind rammelvoll mit Menschen, ein einziges Gedränge und Geschiebe. Ich habe noch nie so viele schmutzige, magere Menschen gesehen, so viele böse Gesichter, so viele Leute mit roten Flecken und allen möglichen Hautkrankheiten, so viele krumme Glieder, und alle sind so beladen mit Bündeln und Taschen. Ich sehe kein einziges Kind. Es ist so laut hier auf der Straße, dass mir die Ohren dröhnen. Ich werde geschubst und zur Seite gedrängt, beschimpft und mit erhobenen Fäusten bedroht. Das ist die Unterstadt. Mama sagt, das sei die Hölle. Über uns aber, im schwefelgelben Himmel kreisen die Flugmaschinen, schön wie goldene Insekten, wie große metallene Vögel.
Gonzo und ich gehen den Ci-Po-Trupps aus dem Weg.Ich habe keine Lust, meine I-Karte mit dem Artisto-Logo zu zeigen. Bestimmt suchen sie schon nach mir. Ab und zu, an einem unbelebten Ort, einem zerstörten Haus oder hinter einem Müllberg, nehme ich Gonzo die Metallfolie ab, damit er sich nicht heißläuft. Er sieht mit dieser Hülle, die er nur ungern trägt, aus wie ein Putzroboter aus einer der Fabriken für Sintofleisch. Niemand kümmert sich groß um ihn.
Am Nachmittag habe ich solchen Hunger, dass ich mich überwinde und eine Nudelsuppe an einem kleinen Tisch neben der Straße esse. Vielleicht muss ich danach kotzen, aber ich habe ja meine Imo-Implantate. Natürlich habe ich meine Energiemarke dabei, und sie werden herausfinden, wo ich mit ihr bezahlt habe, aber das wird dauern. Der Mann, der mir die Suppe hinstellt, scherzt mit mir, das glaube ich jedenfalls, denn ich verstehe nicht, worüber er so lacht. »Er sagt, du solltest dreimal Suppe nehmen«, flüstert Gonzo aus seinem metallenen Überzug. »Du wärst so blass und dürr!«
Ich bin empört. Was fällt ihm ein, aber ich beherrsche mich und lächle, und da lächelt auch er, und sein rundes, fleckiges Gesicht wird für Augenblicke schön wie ein kleiner Lampion, in dem eine Kerze angezündet wird.
Im Gewühle auf dem großen Avatar-Platz bleiben wir lange stehen, in eine offene Lüftungsklappe gedrückt, und sehen auf dem großen Pam all die Neuigkeiten, die ich so lange nicht habe sehen dürfen.
Der Präsi, neu geklont, sieht jetzt aus wie ein rot beflaumter Sintofleischklops, unser Krieg in Braxico mit denkünstlich herbeigeführten Überschwemmungen wird bald siegreich beendet sein. Die Terroristinnen der Gayaner haben mit einem neuen Beifußpollen-Bombardement die halbe Regierung lahmgelegt. Gegen Beifuß sind Aristos nicht immun, sie neigen verstärkt zu den verschiedensten Allergien. Professor Boris von der Atox verspricht baldige Forschungserfolge und Impfungen, räumt aber ein, dass es nicht für alle sein wird. Er ist, glaube ich, ein Freund von Papa und sieht aus wie eine alte räudige Hyäne mit bösen Augen. Und da ist Mingus, riesengroß und so wunderschön, dass mir Tränen in die Augen treten. Blut steht in seinen Mundwinkeln. Was haben sie ihm angetan?
»Staatsfeind Nummer eins«, zwitschert die Ansagerin. »Flüchtig. Überträger von tödlichen Krankheiten. Gefährlich, da schizophren. Unberechenbar.«
So ein Quatsch. Sie haben eine Riesensumme für seine Ergreifung ausgesetzt. Mein süßer Mingus.
»Wir müssen ihn finden«, sage ich zu Gonzo, und ich höre ihn prusten.
»Wo sollen wir heute Nacht schlafen, ich meine, wo
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