Mingus
seit gestern Abend. Und los!«
Die Sonne kommt gerade über die Dächer.
NIN
Wir laufen herum, durch die Stadt. Sie ist so riesengroß. Sie hört nicht auf. Wir sind sehr müde. Ich bin müde! Gonzo keineswegs, er ist mir immer voraus.
Bald ist niemand mehr unterwegs. Es dämmert, und die Straßen sind wie ausgestorben. Ausgangssperre. Ich nehme Gonzo die Metallplane ab.
»Halt dich an den Hauswänden, versteck dich sofort, wenn jemand kommt«, sage ich.
»Was glaubst du denn?«, sagt er beleidigt. »Ich habe meine Camouflagefunktion, oder?«
Ich habe keine Ahnung, wo wir jetzt sind. Ich komme nicht zurecht mit dem Plan, den Gonzo mir zeigt. Das Viertel wirkt verlassen und zerstört. Die Häuser, an denen wir vorbeikommen, sehen mit ihren leeren Fenstern tot aus. Steine und Schutt liegen überall. Das muss der südliche Stadtrand sein. Ich glaube, ich weiß, wo ich jetzt bin. Das ist das Viertel um den großen Park, in dem Mama als Kind gespielt hat. Sie hat mir davon erzählt. Bei den letzten Angriffen sind alle Menschen, die dort wohnten, umgekommen, sagt Mama, ausradiert worden, sagt Mama. Eine neue Waffe. Ausradiert! Aber das war lange vor meiner Zeit. Alles ist hier verseucht mit irgendwelchen Bakterien, aber Papa sagt, das stimmt nicht. Der Präsi hat das verbreiten lassen. Der Präsi will, dass keine bösen Menschen sich inden leeren Häusern niederlassen und in den Ruinen wohnen. Er will hier ein neues schöneres Viertel aufbauen, eine Trabantenstadt, sie soll »Auroville« heißen. Die Planung ist sein Lieblingsprojekt, sagt Mama. Er will alles selber entwerfen. Niemand darf hier leben. Aber Papa sagt, er glaubt, dass doch einige Leute hier versteckt sind. Man wird da gründlich säubern müssen, ehe man bauen kann, sagt er.
»Sollen wir hier schlafen?«, sage ich zu Gonzo. »Bitte prüf mal, wo es ein Haus gibt, in dem niemand drin ist.« Er kann das.
»Hast du was zu essen?«, fragt er.
»Energieriegel und Wasser im Rucksack«, sage ich.
»Was wollen wir morgen machen?«, fragt er.
»Ich weiß es nicht«, sage ich.
Überall kleben die gelben Handzeichen der Ci-Po. Sie haben alles durchsucht. In Spezialanzügen, nehme ich an, wegen der Bakterien. Ach nein, Robos brauchen keine Schutzkleidung. Was für Leute würden hier unterkriechen? Nur Menschen, die verrückt sind oder verzweifelt. Wir müssen vorsichtig sein. Aber ich habe ja Gonzo.
Ich suche einen ramponierten gläsernen Turm aus. Wir laufen einfach durch die zerborstenen Flügeltüren hinein, arbeiten uns vor, immer wachsam, über den Boden mit den grün geflammten Steinplatten, die einmal schön waren, das kann man noch sehen, aber da liegen jetzt Abfallhaufen, trockene Baumäste und leere Dosen, Platten aus den Wänden und Putzbrocken. Das zersplitterte Glas kracht unter meinen Schuhen. Weiter. Keuchend hangle ich mich die Treppe hinauf bis ganz oben. Das dauert. Durch eine verbogene Eisentür kommen wir aufs Dach. Dort stehen totePalmen in großen Töpfen, schwarz vom Ruß. Es gibt ein Becken unter einer zerfallenen Plane, ein leeres Wasserbecken aus grünen Kacheln. Dort klettern wir hinein. Ich rolle meinen Thermoschlafsack aus und esse zu Abend. Wasser und Kokosriegel. Keine Wäsche. Kein Zähneputzen. Ich schicke Mama eine Nachricht. »Es geht mir gut. Ich habe euch lieb.«
»Na, das wird sie ja nun sicher sehr beruhigen«, sagt Gonzo, nachdem er die Nachricht abgeschickt hat. »Können sie uns jetzt orten?«
»Nee«, sage ich. »Ich hab dich umprogrammiert.«
»Kluge Nin«, sagt Gonzo. »Willst du Musik hören?«
»Nee«, sage ich. »Nur schlafen.«
Am Morgen, schon früh, sind wir reisefertig. Ich schaue lange über die Brüstung hinunter auf die Stadt. Der Himmel ist wasserklar und voller roter Wolken.
»Vorsicht«, ruft Gonzo, und ich ducke mich unter die Lüftungsrohre. Wahrhaftig. Ein sirrendes Flugobjekt zischt über uns hinweg und senkt sich hinunter zur Straße. Wie schön es ist. Es blitzt in der Morgensonne. Ich kann die Pilotin sehen. Wilde schwarze Locken, klobige Glotzbrille, sie zeigt ihre Zähne. Das Ding landet mitten auf der Straße, und ohne die Rotoren abzustellen, sitzt es da in einer Staubwolke. Muss sie notlanden, diese schwarzhaarige junge Pilotin? Ausgerechnet hier?
Aus dem Haus gegenüber kommen ein paar blaue Gestalten, die Bündel tragen und eine kleine graue Frau mit sich zerren. Ihre weißen Haare wehen im Wind der flirrenden Flügelblätter.
Sie steigen auf und fliegen davon.
»Ach, Gonzo,
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