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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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willst du schlafen?«, fragt er.
    Ich habe keine Ahnung.

TARA
    Mingus kommt nicht zurück. Es ist Sommer geworden, und meine Zitronenbäumchen stehen voller Früchte. Ich glaube, Mingus hat noch nie eine Zitrone probiert, und ich sage mir, wenn sie reif sind, kommt er zurück. Das ist natürlich Quatsch, und doch warte ich auf ihn, Tag für Tag, wie eine Mutter, die die Hoffnung nicht aufgeben kann, dass ihr Bub plötzlich unter der Tür steht. Keine Rolle, die mir gut gefällt. Ich hasse mich für mein zähes Festhalten an unserem gemeinsamen Leben. Ich, die ich immer so gut alleine zurechtkam. Ich lenke mich ab mit dem Sammeln von Vorräten. Ich trockne Kräuter und Nüsse, ich salze Fische. Ich habe noch einen ganzen Sack Salz von Boris. Ich habe keine Lust, ihn noch mal zu besuchen. Er weißt nichts darüber, wo Mingus ist, sonst hätte ich’s am Avatar gehört. Er hätte das sofort zu einer großen Übertragung genutzt, um sich erneut aufzuplustern.
    Und dann … ich hätte es mir denken können. Ich wusste es. Wenn sie mich finden wollen, werden sie mich finden. Sie haben überall Spione. Und natürlich lasse ich mich finden, jetzt, wo Mingus verschwunden ist. Um ihn mache ich mir nun ernsthaft Sorgen. Noch haben sie ihn offenbar nicht aufgegriffen. Jeden Tag bin ich am Avatar gewesen, und immer schnürt mir die Angst die Kehle zu. Er fehltmir, ich habe mich an ihn gewöhnt. Wie lächerlich für mich alte Frau, noch einmal ein Geschöpf so zu lieben. Ich dachte, die Zeiten sind vorbei.
    Sie mögen’s spektakulär, die Mädels. Eine springt durchs Fenster herein, angeseilt, vermummt, ganz in Blau. Das Fenster explodiert geradezu. Ich hocke vor dem Küchenbrett und hacke Löwenzahnblätter, fünf große Heuschrecken und drei Raupen habe ich schon zum Marinieren in Essiglake gelegt. Es ist früher Morgen, und ich habe die ganze Nacht von Essen geträumt.
    Die anderen kommen über die Treppe. Sie drängen ins Zimmer. Keine legt Hand an mich.
    »Wo ist er?«, schreit die lange Dünne mit dem Ledermieder. Sie macht dazu ihr Gesicht frei. Ich kenne sie nicht.
    »Weg«, sage ich. »Seit Wochen weg.«
    Sie durchsuchen das Haus. Das dauert. Eine bleibt bei mir. »Was isst du da?«, fragt sie und probiert eine Raupe.
    »Was wollt ihr von mir?«, frage ich mit aller Würde, die ich aufbringen kann. Sie lacht.
    »Hast du was zu essen für mich?«, frage ich, ohne mich zu schämen. Sie gibt mir ein in Leinen gerolltes Paketchen aus ihrem Rucksack. Soma. Ich habe vergessen, wie gut das schmeckt. Das Leinen kommt aus den Werkstätten der gayanischen Flachsfelder.
    Die lange Dürre ist zurück. Sie heißt Tulip und leitet die Aktion.
    »Du kommst mit, Tara«, sagt sie. »Unsere Chefin will dich sehen. Packt sie ein, Frauen, packt ihre ganzen Vorräte ein. Hopp, hopp! Die Große Mutter hasst Verschwendung!«
    Ich, den Mund voller bittersüßem Soma, lege mich aufs Bett und sehe zu, wie sie alles Mögliche einpacken. Das ist nicht viel. Sie haben sofort entdeckt, wo Mingus’ Schlafecke war, rollen seine Decken zusammen, sammeln seine Sachen in einen blauen Stoffsack. Sein Messer, seine Pfeilspitzen, seine Sandalen, die Klamotten, die ich ihm gemacht habe, aus Textilien, die ich irgendwo in verlassenen Wohnungen eingesammelt habe. Sogar seinen Essnapf packen sie ein. Sie schnüffeln an allem und werfen sich Blicke zu. Die Dürre sammelt ein paar Haarbüschel vom Kissen. Ich weiß, wofür. Die abgerichteten Ratten sollen seine Witterung aufnehmen. Ich freue mich auf die Ratten. Ein ganzes Jahr war ich die, die sie gefüttert und gebürstet hat. Meine Buben!
    »Da gibt’s nichts zu lächeln«, sagt eine sehnige Schwarze und gibt dem Bett, auf dem ich liege, einen Tritt. »Mit Abtrünnigen wird kurzer Prozess gemacht!«
    Ich lache.
    Was soll mir noch groß passieren? Ich werde Soma essen, und ich werde Becky wiedersehen und Beckys Tochter. Und wenn wir Glück haben, werden sie Mingus finden. Das ist seine einzige Rettung.
    »Macht schon, hopp, hopp, los geht’s!«, ruft Tulip und vermummt erneut ihr Gesicht. Irgendwie sind sie rührend, diese jungen Gayanerinnen. Ich habe Lust, ihnen über den Kopf zu streicheln und zu sagen: »Nun macht mal halblang, Mädels.«
    Sie helfen mir beim Aufstehen.
    »Ich denke, er ist im Park«, sage ich leise. »Ich denke, dort hat er sich versteckt.«
    »Wir durchsuchen schon längst den Park.« Die Schwarze, die Poppy heißt, ist gekränkt. »Das macht Sallis Gruppe, was glaubst du wohl, schon

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