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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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besonders gut, besser als diese Menschen. Nachts sehe ich besonders gut, besser als diese Menschen.
    An dem Abend, an dem vier von ihnen fehlen und drei verwundet und blutig hereingeschleppt werden, lausche ich. Draußen hat es einen Kampf gegeben. Sie haben Waffen. Eine Grube voller Waffen, die aussehen wie altes Eisen. Ich habe solche Teile bei den Archäologen gesehen. Man kann alles Mögliche damit machen. Aber ich glaube,sie hatten keine Zeit, sich die Waffen zu holen. Mir sagen sie kein Wort.
    Nachts dann belausche ich sie und höre, was geschehen ist. Nicht alles, aber einiges davon. Sie wurden angegriffen von einem Suchtrupp, lauter Frauen. Eine der Angreiferinnen haben sie überwältigt und ihr das gegeben, was sie verdient hat. Ich kann nur ahnen, was das ist. Genaueres kann ich nicht hören, alle sprechen auf einmal. Wer sind diese Frauen? Was ist da passiert? Was wollten die? Sind die hinter mir her? Die Alten wollen mir rein gar nichts sagen. Sie haben blutige blaue Fetzen mitgebracht und einen Rucksack mit essbaren Dingen. Ich habe nichts davon bekommen. Sie haben die blauen Fetzen um ihren »Mono« gelegt, sie ihm umgehängt. Der Mono ist ihr Heiliger. Er sieht aus wie ein Mann, dem große verästelte Hörner aus der Stirn wachsen. Er ist schwarz von den vielen Sachen, die sie für ihn verbrennen. Er steht in einer Nische. Sie berühren ihr Herz, wenn sie an ihm vorbeigehen. Sie wollen, dass auch ich das tue, und schleppen mich zu ihm, aber ich brülle so laut, dass ihr Mono zittert. Na ja, ich bilde mir ein, dass er zittert.
    Die Fesseln sind stärker, als ich dachte. Sie füttern mich ohne Unterlass. Noch ein paarmal haben sie mir den bitteren Tee eingeflößt. Ich habe ihn genommen, weil ich mit Papa reden wollte, und er ist auch erschienen, aber immer flackerte er ohne feste Form irgendwo am Rand des Kreises und immer ohne zu sprechen.
    Ich habe viel Zeit, liege auf den trockenen Kräutern und schlafe oder träume vor mich hin.
    Ich sehe den kleinen Bruder, wie er im Wasser steht undversucht, einen Fisch zu fangen. Ich sehe seine Augen, wenn er lacht und dabei die Nase runzelt. Ich höre ihn weinen. Rieche seinen bitteren Angstgeruch, möchte zu ihm. Also zu ihr. Immer vergesse ich, dass er eine Frau ist. Aber eigentlich ist das nicht wichtig. Was er auch ist, ich möchte meine Hände auf ihn legen und ihm sagen, dass ich unterwegs bin zu ihm. Wohin auch sonst?
    Ich denke auch an Tara. Sicher sucht sie nach mir. Ich habe Angst, sie fassen sie, irgendwo im Park, und geben ihr dann, was sie verdient.
    Aber Tara ist schlau.
    Tara erscheint mir im Traum und sagt: »Sei sanft wie eine Taube und klug wie die Schlange, sei friedlich, gelassen und nachgiebig, dann lassen sie dich frei herumlaufen. Verschlucke deinen Zorn. Mach, was sie wollen. Spiel mit.«

TARA
    Becky ist fort. Schon eine Weile fort. Ihre Tochter hat sie mitgenommen. »Geraubt. Das ist eine unfassliche Untat«, sagt Neila, die Oberpriesterin.
    Ich hocke vor dem Altar und senke das Gesicht, um mein Lachen zu verbergen.
    »Wo ist sie hin?«, frage ich leise.
    »Ins Unglück. In die Katastrophe. In ein Leben ohne Große Mutter«, schreit Neila. »Das verstehst du am allerwenigsten, Tara, du, du Verräterschlange! Und das nach allem, was Ma für dich getan hat.«
    »Ich bin zurück. Ich mache alles wieder gut«, flüstere ich und neige mich noch tiefer. »Ma wird mir verzeihen, sie ist gütig. Sie habe ich nie verraten. Ich hatte einen Altar …«
    »Erspar mir deine Sentimentalitäten«, schreit Neila. »Fort mit dir! An die Arbeit.«
    Die langen Verhöre liegen hinter mir. Meine Flucht, mein Verrat, mein Abfall vom rechten Glauben, mein elendes Leben. Natürlich geht es dann tagelang um Mingus, mein gesamtes Wissen über Mingus. Ich habe alles gesagt, was sie hören wollte. Nur als ich danach schließlich wagte, sie zur Eile zu drängen, um ihn auf der Stelle zu finden, erhoben sich einige Schwestern zornbebend und machten Anstalten, mich zu züchtigen. Sie sind sehr stolz, diese Mädels. Neila rief sie zur Ruhe.
    Die Aktion im Park war ein Flopp. Kein Mingus. Vineta, eine junge Kriegerin, hat bei diesem Einsatz ihr Leben lassen müssen. Für nichts. Die mitgebrachten Männer sind Ausschuss und werden mit verbundenen Augen, so wie sie kamen, zurückgebracht. Bei der Trauerfeier für Vineta wird lange geklagt, und es gibt in den höheren Rängen eine Orgie der Selbstbezichtigung. Von Mingus keine Spur.
    Ich putze jetzt im Männerhaus. Das

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