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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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lächelt. »Es gibt auch keine Tiere, versteht ihr. Kein einziges Tier im ganzen Bezirk. Sonst hätten wir sofort den Präsi hier zur Jagd.« Alle murmeln, einige schmunzeln.
    Matt lädt seinen Teller voll, Beutelratte, sehr schmackhaft.
    »Der König der reichen Insel hat dem Gott des Meeres ein Opfer verweigert, einen prächtigen Stier.« Zaz schaut hinauf zum Dach, ganz verträumt. Julius macht ein Zeichen, aber sie achtet nicht auf ihn. »Der König muss den erzürnten Gott besänftigen. Der fordert, die Königin mit dem Stier zu paaren. Ein berühmter Künstler baut eine Kuh, in die steigt sie hinein …«
    »Nun lass doch diese blöden alten Geschichten, Zaz«, ruft Julius.
    »Und? Hat das geklappt?« Matt schüttelt sich vor Lachen.
    »Geboren wurde ein Mischwesen«, sagt Zaz. »Halb Mensch, halb Stier, so wie unser Hybrid halb Mensch war und halb Löwe.« Ich kenne natürlich dieses Märchen. »Er musste mit Menschenfleisch gefüttert werden«, sagt Zaz leise. »Man hat ihm Menschen geopfert.«
    Keiner sagt ein Wort. Sogar Matt hält die Klappe.
    »Wo kamen die denn her, diese beiden?«, frage ich nach einer Weile, ohne großes Interesse zu zeigen.
    »Woher? Na, sie kamen durchs Flussbett, von Osten würde ich sagen, von den Hügeln, oder?«
    »Nein, sie kamen von Westen, es war doch gegen Abend, und die Sonne …«
    »Keiner hat die beiden kommen sehen«, sagt Zaz. »Die hatten sich ja versteckt.«
    »Wie lange glaubt ihr, dass sie unterwegs waren?«
    »Keine Ahnung«, sagt Julius.

MINGUS
    Die Kühe mögen mich nicht. Sie brüllen und lassen das Weiß ihrer Augen sehen, wenn ich im Stall auftauche. Der Stier droht mir mit gesenktem Kopf und scharrt den Mist auf. Er ist ein wunderbares Tier. Er gefällt mir von allen Tieren hier am besten. Die Ziegen drängen sich zusammen in einer Ecke und meckern im Chor. Keine schöne Sprache. Sie glotzen mich an. Einen Bock haben sie nicht. Er ist beim ersten Schnee gestorben, obwohl Mathilde und Irina die ganze Nacht neben ihm gelegen und ihn besprochen haben. Ob sie auch neben mir gelegen haben, als ich krank war? Ich glaube nicht. Aglaia hat alle weggebissen. Sie ist eine gute Pflegerin. Das sagen alle. Ich denke an Tara. Sie ist besser als Tara. Tara hat immer Späße gemacht, wenn ich geklagt habe. Auch ihr Essen war nicht so gut wie das, was Aglaia mir gemacht hat. Aglaia hat zugesehen, wie ich esse, ganz so, als schmecke auch sie jeden einzelnen Bissen. Trotzdem will ich zu Tara, sobald der Schnee schmilzt. Das dauert noch lange, sagt Becky. Sie kennt Tara, und auch sie will sie wiedersehen, sie holen und hierhaben in Aglaias Versteck. Sie nennen es »Aglopolis«. Aber Becky wird traurig, wenn ich davon spreche, zu Tara zu fliegen. Sie sagt, sie könne den Weg nicht finden, allzu lange sei sie halb tot herumgeirrt mit Balthasar und Elsa auf der langen Wanderung hierher. Allzu viel habe sie erlebt auf diesem Marschdurch die Wüste und die Wildnis. In ihrem Kopf sei noch immer Wirrwarr, und Balthasar ginge es ähnlich.
    »Außerdem«, sagt Balthasar und nickt, »die Gayanerinnen … unmöglich, da reinzukommen, unmöglich.«
    Die Tiere hier mögen mich nicht, aber die Frauen hier mögen mich. Das ist gut. Im Stall arbeiten ist sowieso öde. Ich hacke Holz. Ich schaufle den Schnee vor der Tür. Ich baue ein Feuer im Kamin. Ich hole Äpfel aus dem Vorratsraum. Ich jage. Ich trample einen Weg hinunter zum Meer. Es ist nicht zugefroren wie der See. Ich hocke lange auf den Felsen und schaue den Vögeln zu, und später sehe ich nach den Reusen und Muschelbänken und bringe meinen Fang zurück, zu Aglaia in die Küche. Sie zeigt mir, wie man das kocht. Sie zeigt mir auch, wie man Seile knüpft, anders als bei den Amas, biegsame, starke Seile aus Halmen. Jeden Tag gibt sie mir Unterricht in ihrer Bibliothek. Das ist langweilig, aber ich tue ihr den Gefallen. Allerdings hat sie viele Bücher mit Bildern, die mir gefallen. Ich schaue sie an und merke mir alles. Irgendwann, wenn ich schon keine Lust mehr habe, still zu sitzen, fängt sie an von der Stadt zu reden und was in der Stadt vor sich geht. Was für ein schreckliches Leben die Menschen dort führen. Wie beschämend die Aristos all das dulden und ihren Gewinn aus allem ziehen. Was für ein Schwein der Präsi ist. Wie man alles erneuern soll und ihn umbringen. Dabei ist auch sie eine Aristo. Sie hat auf der Stirn den goldenen Vogel mit den ausgebreiteten Schwingen. Genau wie der kleine Bruder. Ich sehe seine runde Stirn

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