Mingus
nicht.
Alle sammeln sich um sein Lager, und als er stöhnt, sich zur Seite dreht und die Pfoten streckt, hockt sich Becky zu ihm und fasst nach einer Pfote, um sie zu streicheln.
»Weck ihn nicht auf«, sage ich.
Er wacht nicht auf.
»Kann ich jetzt mal …?« Mathilde kniet ächzend nieder und taucht die Goldrute in das Wasserbecken.
»Hinaus!«, flüstert Irina. »Alle.«
»Na, alles gesehen?«, frage ich.
Zoe berührt seine Stirn. Balthasar zieht das Tuch überihn, bis unters Kinn. Ich könnte schreien vor Wut. Sie führen sich auf, als läge da ein krankes Kind und ich wäre die böse Mutter.
»Ein so schönes Geschöpf«, flüstert Zoe und beugt sich tief über ihn.
Ich möchte laut lachen. Schön ist er nun wirklich nicht. Zoe, diese sentimentale Person, die kein Fleisch isst und bei schönen Sonnenuntergängen in Tränen ausbricht. Frieder legt den Arm um sie, als müsse er sie trösten.
»Raus, ihr Lieben.« Irina hat Rauchwerk angezündet.
Wir gehen.
Mathilde, das sehe ich noch, hebt vorsichtig seine rechte Pfote auf und küsst sie. Ob das die ersten Anzeichen einer Demenz sind?
Nachts weckt er mich mit seinem Geröchel und seinen Klagerufen. Er wacht nicht auf, aber ich, Nacht für Nacht. Mathilde sagt, ihn plage ein böser Geist. Sie hat immer so altmodische Ideen, aber sein Gekotze hat sie immerhin weggekriegt. Fieber hat er, hohes Fieber. Mathilde sagt, das sei gut so.
Was mache ich da eigentlich? Ich wasche ihn mit lauwarmem Wasser, und ich höre mich sagen: »Alles gut, keine Sorge, ich bin hier.« Seine Brust ist bedeckt von einem feinen goldenen Pelz. Seine Schultern auch. Seine Ohren bewegen sich, wenn ich ihn aufrichte, um ein neues Tuch unter ihn zu schieben. Er ist sehr krank. Aber leid tut er mir nicht. Ich schüttle ihn manchmal, um ihn zu wecken. Ich will, dass er mich anschaut aus diesen seltsamen schlammfarbenen Augen. Ich möchte, dass er mit mirspricht. Ich möchte, dass er sieht, was ich für ihn tue, und dankbar ist, seinen Kopf an meine Brust legt und sich mir ausliefert. Ich habe sein Gekotze aufgewischt. Ich habe ihm Kräuter ins Maul gestopft und den grünen Saft abgetupft, der aus seinen Mundwinkeln lief. Warum mache ich das alles? Ich muss verrückt geworden sein. Ich kann es nicht ertragen, wenn die anderen ihn anfassen. Am Tag erwische ich mich oft dabei, dass ich an ihn denke, und dann glaube, sofort nach ihm sehen zu müssen, und horchen, ob er noch atmet. Von einem bösen Geist besessen! Wenn einer von etwas besessen ist, dann ja wohl ich. Aber von keinem Geist. Ich möchte mich neben ihn legen und ihn festhalten, wenn er sich hin und her wirft. Das tue ich natürlich nicht. So viel Beherrschung bringe ich noch auf. Manchmal wünsche ich, sie wären nie hier aufgekreuzt, diese beiden seltsamen Gestalten. Dann wieder denke ich, er ist ein Geschenk für mich, für uns alle. So ein Blödsinn.
Schlimm ist, dass ich sehe, wie mich Mathilde und Irina beobachten und wie sie sich Blicke zuwerfen. Nicht auszudenken, wenn sie den anderen irgendwelchen Quatsch erzählen. Sie vermuten ja immer hinter allem eine Liebesgeschichte.
Er macht die Augen auf und prustet, als ich ihm den Napf mit Wasser hinhalte. Ich hebe seinen Kopf. Er schaut mich an, und da, er lächelt. Ich lasse seinen Kopf aufs Kissen plumpsen. Nein. Das halte ich nicht aus, nicht dieses Lächeln.
BORIS
Matt, meinem alten Freund Matt, kann ich nicht wirklich vertrauen. Nicht, nachdem er eingewilligt hat, viel zu schnell eingewilligt hat, »auf Schatzsuche zu gehen«, wie er es nennt. Schon dieser Satz macht mich stutzig. Sein Entschluss steht fest. Da nutzen sie nichts, meine freundschaftlich vorgebrachten Skrupel. Etwa: »Ich könnte verstehen, wenn du Nein sagst. Das Hospital ist dein Leben. Du dienst den kranken Menschen dieser Stadt, ich schätze dich dafür.«
Oder: »Ihr habt sowieso zu wenig Chirurgen.«
Oder: »Danach, das weißt du, kannst du nicht hierher zurück.«
Und als Letztes: »Der Ausgang dieses Abenteuers ist äußerst ungewiss, mein alter Freund.« Ich will ihn testen.
All diese Bedenken fegte er sogleich vom Tisch.
Das machte mich misstrauisch. Aber ich brauche ihn. Nicht nur wegen meines Gesundheitszustands, bei dem es mir willkommen erscheint, einen Arzt bei dieser Expedition dabeizuhaben. Was ich nun wirklich unbedingt benötige, ist einer dieser großen Flughunde des Hospitals. Ohne solch eine Maschine gibt es keine Schatzsuche.
Ich nehme an, Matt hat den Inhalt meiner Tasche
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