Mingus
anderen zusammen bin, wenn wir essen oder arbeiten oder uns baden, immer fühle ich ihre Augen auf mir. Am Anfang hat es mich gestört. Jetzt bin ich daran gewöhnt.
»Was will sie von mir?«, frage ich Alan. Er lacht nur. Er hat jetzt einen kleinen Bauch, und die Kinder im Dorf scharen sich um ihn, weil er ihnen Geschichten erzählt.Sicher sind es lauter Ama-Geschichten, aber das kümmert hier keinen.
»Amas? Was soll das sein? Waldameisen?«, sagt Becky und lacht. Über die Gayanerinnen kann sie nicht scherzen. »Ich hatte herrliche Zeiten dort«, sagt sie traurig. »Bis das mit Balthasar losging.«
Mathilde und Irina nicken sich zu. Sie halten nichts davon, die Männer zu wichtig zu nehmen und das Leben nach ihnen auszurichten.
»Aber du, du bist kein Mann«, sagt Irina und zieht mich an meinem Ohr.
»Und ob ich ein Mann bin«, brülle ich.
Alle schlagen sich auf die Schenkel vor Lachen. Alan wird böse und will wieder davon anfangen, dass ich der neue Mensch bin, aber sie lachen noch mehr.
»Und du bist auch kein Mann«, ruft Mathilde mit ihrer hohen Altfrauenstimme.
»Und du keine Frau, alte Vettel«, schreit Alan.
Aglaia gähnt. »Komm her, Mingus«, sagt sie leise. »Wärme mich ein bisschen, hierher, komm.« Aber ich tue so, als hörte ich sie nicht.
»Er ist immer ein paar Grad wärmer als wir anderen«, sagt Alan. »Er wird uns noch in Erstaunen versetzen.«
Im Frühjahr bin ich weg.
Schön sind die Abende, es wird früh dunkel.
»Heute habe ich etwas ganz Besonderes für euch«, sagt Luis. »Ihr werdet Augen machen.« Aber das sagt er immer. Diese Flimmergeschichten werden mir fehlen, wenn ich hier abhaue, das weiß ich jetzt schon.
Heute sind wir in einer dunklen Stadt. Es gibt keine Sonne. Es gibt keine Bäume. Diese komischen Maschinen, die aussehen wie große Käfer, verstopfen die Straßen und schreien. Der Mann, der sich an eine Mauer drückt, ist warm angezogen, sogar auf dem Kopf hat er einen von den Hüten wie Balthasar einen hat, gegen die Sonne, nur nicht so groß. Der Mann atmet Rauchwolken in die Luft. Er duckt sich. Ist er auf der Jagd? Ich weiß es nicht. Man kann nie sagen, was sie gerade machen, erst später versteht man es, sie zeigen es einem. Das gefällt mir. Wir bleiben lange mit ihm auf dieser Straße, und ich fange an mich zu langweilen. Da ist eine Frau, sie steht an einem Fenster, den Rücken zu uns. Sie zeigt uns ihr Gesicht, und ich sehe, dass sie so tut, als habe sie Angst. Sie tun immer nur so, als fühlten sie etwas, das weiß ich, und doch verstehe ich, dass sie mir zeigen wollen, dass diese Frau in Gefahr ist. Zoe holt neben mir tief Luft. Ein Mann, ein anderer Mann ohne Hut, legt seine Arme um die Frau, und sie schließt die Augen und nähert ihm ihr Gesicht. Er drückt seinen Mund auf ihren Mund. Es sieht komisch aus, aber Zoe neben mir seufzt. »Jetzt aufgepasst!«, ruft Baro leise, er kennt alles, was wir sehen, und weiß, wie das weitergeht. Ich schaue Zoe an, die sich aufsetzt und wartet. Sie dreht mir den Kopf zu und schaut mich an. Sie will sehen, was für ein Gesicht ich mache, das tut sie oft. »So traurig«, flüstert Zoe und umarmt mich. Ich sehe nichts mehr, sie drückt ihren Mund auf mein Kinn und atmet schwer. Ich sehe nichts mehr, und dann sind wir wieder auf der dunklen Straße. Da, wo die Frau war, brannten alle Lampen, und ihre Haut glitzerte so schön. Zoe lässt mich zögernd los. Die Straßeist langweilig, und ich schlafe ein bisschen. »Weck mich, wenn die Frau wieder da ist«, sage ich noch zu Baro. Aber er schüttelt den Kopf. »Dann wird sie tot sein«, sagt er unglücklich. Sie sterben immer. Aber das macht nichts, denn sie tun nur so.
Ich würde gerne in diese dunkle Stadt hineingehen und nach der schönen Frau suchen. Sie beschützen, sie retten. Den kleinen Bruder habe ich nicht retten können, und ich höre mich seufzen, wie Zoe.
AGLAIA
Immer muss ich ihn anschauen. Wenn er mit mir in einem Raum ist, muss ich mich zurückhalten, um ihn nicht zu berühren. Ich rieche an seinem Lager. Ich muss die Tränen zurückhalten, wenn ich ihn auf mich zukommen sehe. Es ist beschämend. Alle Frauen sind in ihn verliebt. Ich sehe das. Ich werde rot, wenn ich dabei zusehe, wie sie sich bei ihm anbiedern, um ihn herumkrabbeln, wie Katzen.
Aber ich habe Besseres zu tun. Ich habe Wichtigeres zu denken.
Mein Plan sieht so aus: Wir werden den Präsi wissen lassen, dass wir bereit sind, ihm Mingus auszuliefern. Wir werden ihm eine Falle stellen.
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