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Mingus

Mingus

Titel: Mingus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keto von Waberer
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sie sich im Männerhaus zusammen, rütteln an den Gittern ihrer Fenster. Schlagen mit Steinen und Geschirr an die Stäbe, werfen Teller und Tassen in den Garten und brüllen: »Lasst uns raus! Wir wollen raus!«
    Neila sagt, es gebe keinen Grund zur Sorge. Solch einen Rappel kriegten die eben ab und zu. Aber ich kriege es bei dem Gebrüll mit der Angst zu tun. Und ich kann sehen, dass auch Neila beunruhigt ist. Die Männer sind angesteckt von der seltsamen Stimmung im Ashram. Die Kaste der jüngeren Kriegerinnen will zusammen mit dem gemeinen Volk auf den Straßen von Megacity gegen den Tyrannen kämpfen. Die oberen Kasten halten nichts davon. Ja, die Alten führen unseren Glauben ins Feld, die Wünsche der Großen Mutter. Es gibt Gerüchte, nach denen die Ungehorsamen ausgestoßen werden sollen. Neila duldet kein Abweichen von unseren Gesetzen.
    »Die Mädchen sind doch nicht bei Trost«, sagt Tara. »Es wäre doch sinnlos, sich für so eine lächerliche Palastrevolution zu opfern.«
    Der Schnee schmilzt langsam, und die Felder müssen bald bestellt werden. Tara sagt, bis dahin muss wieder Ruhe im Ashram herrschen.
    Es sieht nicht so aus, als ob es bald so weit wäre. Jemand hat die Statue der Großen Mutter mit Schnee zugeschüttet. Wir sehen es, als wir morgens in den Tempel kommen. Ein lautes Klagen hebt an. Jemand hat das große Kuppelfenster oben an der Decke zerbrochen. Die alte Sophie heult laut, als ob jemand die Große Mutter getötet hätte.
    Tulip ist plötzlich verschwunden, und die jungen Kriegerinnen suchen nach ihr. Sie brüllen hässliche Verdächtigungen und verweigern die Arbeit im Stall. Daisy, ich und die anderen Mädchen schuften von morgens bis abends.
    »Wir müssen hier weg«, sagt Tara zu mir. Wir sitzen im Frauenhaus am riesigen Tisch in der Küche. Gleich werden wir all das Geschirr und die Töpfe spülen müssen. Tara sieht matt aus. Sie hat den ganzen Tag gekocht.
    »Ich bin eine gute Pilotin«, sage ich. Ich schaue Tara nicht an. Vielleicht will sie mich nur prüfen.
    »Ich weiß das«, sagt sie. Sie nimmt einen Schluck Tee und schaut sich vorsichtig um. »Es ist ganz aussichtslos, unbemerkt eine Flugmaschine von hier aus zu starten … wenn wir denn eine hätten. Haben wir aber nicht.«
    »Wir könnten zu meinen Eltern«, sage ich. »Wir könnten zu Mingus.«
    »Du wirst es ja doch erfahren. Deine Eltern sind nicht mehr in eurem Haus. Der Präsi hat sie bei sich im Palast untergebracht. Aus Sicherheitsgründen, nehme ich mal an. Warum genau, das weiß niemand.« Und als sie mein Gesicht sieht, fügt sie rasch hinzu: »Es geht ihnen gut. Das weiß man. Hörst du? Und Mingus … sicher auch.«
    Eine Weile kann ich kein Wort sagen. Tara beobachtet mich unruhig.
    »Tara«, sage ich schließlich. »Ach, Tara, lass uns doch einfach abhauen hier. Da sind doch schon Leute abgehauen. Du hast es mir erzählt.«
    »Winter!«, sagt Tara.
    »Der Winter ist bald vorbei«, sage ich.
    »Nicht zu schaffen«, sagt Tara. »Ich bin zu alt. Und du, du bist nicht stark genug.«
    »Ich könnte das sehr wohl schaffen«, sage ich, »aber nicht alleine, und Daisy wird nicht mitziehen. Ach, Mist.«
    Tara nähert ihre Lippen meinem Ohr. »Ich habe da einen Plan«, flüstert sie. »Lass mir noch etwas Zeit. Sprich mit keiner darüber. Schon gar nicht mit Daisy.«

ALAN
    Der Flüchtling heißt Ubu. Er hat schwarze Haut, dunkler noch als Becky.
    Er gehört zum geheimen Zirkel der Stadtläufer. Die haben ihm zur Flucht verholfen, nachdem ihr Chef umgebracht wurde und dieser Ubu in Ungnade gefallen war. Die Security hatte ihn im Palast wohl schon lange beobachtet, sagt er. Ubu arbeitete dort in der Küche. Der ganze Zirkel ist in den Untergrund gegangen. Sie fürchten, ihr Chef, ein gewisser Bello, ist gefoltert worden, ehe man ihn verscharrte. Sie fürchten, dass er vorher geredet hat. Er war am Schluss als Doppelagent für den Präsi und den Leiter der Atox tätig. Er hatte einen wichtigen Auftrag.
    Ubu ist geflohen. Der Zirkel hat ihn mit dem Schlitten und den Zugtieren ausstaffiert. Sie haben ihn geschickt. Er ist eine Art Kundschafter. Fast hätte er uns nicht gefunden. Die Rentiere waren es, sagt Aglaia, die uns gefunden haben.
    Seine Leute wollen Megacity verlassen und sich irgendwo in der Wildnis etwas Neues aufbauen. Viele haben Familien.
    »Nicht bei uns!«, sagt Aglaia.
    Sie ist sehr zufrieden mit ihren Verhören. Mathilde kann sie nur mit Mühe vom Bett des Kranken vertreiben. Dennoch geht es Ubu besser,

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