Mira und das Buch der Drachen (German Edition)
gestrichen hatte – ließ sie den Spiegel sinken, sah sich neugierig um und lächelte. Die Sonne ging auf.
Corrado und Rabeus starrten sie mit offenem Mund an, den Corrado schnell wieder zuklappte, als Milena ihn schmerzhaft in die Seite boxte.
»Wer hat mich gerufen?«, fragte Netaxa mit angenehm tiefer Stimme.
»Äh, ich!«, sagte Miranda ungewohnt leise.
Netaxa drehte sich um. Als sie Miranda sah, gefror ihr Lächeln auf der Stelle. Über die Sonne schoben sich pechschwarze Wolken. »Du!«, rief sie. » Du wagst es, mich zu beschwören? Das ist unglaublich!«
»Na ja ... ich dachte ...«, begann Miranda.
»Das solltest du besser sein lassen!«, unterbrach Netaxa sie heftig. Ihre Haare ringelten sich wie eine Feuerzunge um den zierlichen Kopf und lösten sich in gelockten Strähnen aus der Frisur.
»Ihr kennt euch?«, fragte Rabeus neugierig.
»Das kann man wohl so sagen«, murmelte Netaxa und verschränkte die goldenen Arme.
Miranda senkte den Kopf. »Ich hatte gedacht, du hättest es vergessen.«
»Vergessen?«, fauchte Netaxa. »Ich vergesse nie etwas, das müsstest du eigentlich wissen. Dafür bin ich schließlich berühmt.« Sie warf den Kopf nach hinten, zog die Spange aus ihrer Frisur und schüttelte die langen, goldblonden Haare aus, die ihr nun bis zu den Kniekehlen reichten. »Wie könnte ich vergessen, dass du mich schon als kleines Kind gerufen hast.«
Die Freunde sahen neugierig von Miranda zu Netaxa.
»Miranda konnte nicht einschlafen. Sie lag in ihrem dunklen Zimmer und langweilte sich. Ein mir völlig unverständlicher Zustand. Ärgerlicherweise hat sie sich dann immer dieses Buch aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters geholt und mich beschworen. Und so musste ich ihr jeden Abend vor dem Einschlafen eine andere Geschichte vorlesen. Aber anstatt sich mit etwas Vernünftigem zu unterhalten ...«
»Ich war fünf!«, warf Miranda ein.
»Gerade das richtige Alter, um sich mit Existenzphilosophie zu beschäftigen!«, erwiderte Netaxa streng. Sie wippte ungeduldig mit ihrem Fuß hin und her. Er steckte in einem Schuh, der mindestens einen fünf Millimeter hohen Absatz hatte, was angesichts von Netaxas Körpergröße gewaltig war.
»Ich habe es dann noch mit Quantenphysik und Differenzialgleichungen versucht.« Sie seufzte. »Themen, die eigentlich jedes intelligente Kind interessieren müssten!«
»Wie wahr!«, murmelte Corrado und lächelte Netaxa versonnen an.
»Jedenfalls wollte sie stattdessen, dass ich ihr immer wieder die Geschichte von Turtliwurtli vorlese.«
Mirandas Gesichtsfarbe wetteiferte nun mit der ihres Haares.
»Turtliwas?«, fragte Rabeus verwirrt.
»Nicht so wichtig!«, murmelte Miranda zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Nicht zu vergessen, die etwas rührselige Story von Fridolin, dem verlassenen Hundewelpen.«
Mirandas Gesicht war inzwischen um etliche Grad röter als ihre Haare.
»Oder die überaus spannende Geschichte der kleinen Schnecke Schnurkel, die ganz alleine die Wüste durchquert«, fuhr Netaxa ungerührt fort.
Miranda sah mittlerweile so aus, als hätte sie Bauchschmerzen, doch Netaxa schien das nicht weiter zu bekümmern.
»Es war eine Qual für ein Wesen wie mich!«
Corrado nickte wie hypnotisiert. »Das kann ich mir vorstellen!«
Netaxa warf ihm ein warmes Lächeln zu, bevor sie sich wieder Miranda zuwandte. »Und? Um was geht es heute?« Sie zog ihre blonden Augenbrauen zusammen. »Ich nehme an, du liest deine erbaulichen Bücher inzwischen selbst!«
Miranda schwieg, doch Corrado räusperte sich. »Also, äh, unser Navigationsgerät funktioniert nicht so richtig«, sagte er und schlug noch einmal auf den kleinen grauen Kasten. »Und da hat Miranda sich gedacht ...«
»Ich funktioniere wunderbar«, meldete sich da die schnarrende Männerstimme. Sie klang plötzlich wieder ganz nüchtern. »Aber es kommt nicht immer nur darauf an zu funktionieren! Ich habe beschlossen, meinem Leben noch einen anderen Sinn zu geben. Immerhin bringe ich jetzt Poesie und Erheiterung in eure Fahrten!«
»Ach so«, sagte Rabeus.
»Was ist denn das?«, fragte Netaxa entgeistert und starrte auf den Kasten neben dem Lenkrad.
»Das ist unser Navi«, murmelte Miranda.
Netaxa sah vom Navigationsgerät zu Miranda und wieder zurück. Sie sog die Luft ein. Ihr Gesicht hatte eine dunkelgoldene Farbe angenommen. »Und ich vermute, du wünschst, dass ich nun seine Aufgaben übernehme?«
»Na ja«, begann Corrado. »Dafür bist du schließlich auch ausgebildet,
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