Mira und der weiße Drache (German Edition)
wundersam durch hochgelehrt zu ersetzen ...« Das Silbermännchen lächelte kunstvoll. »Nur das Ende, wie gesagt ...«
Die schwarze Hexe klatschte einmal hart in die Hände. Es klang wie ein lautes Schnalzen. Einige der Visitenkarten fielen vom Tisch. Die glänzende Schreibtischplatte vibrierte und das silberne Männchen erzitterte.
»Was sich reimt und was nicht, bestimme immer noch ich!«, erwiderte die Hexe mit mühsam zurückgehaltenem Zorn. »Selbstverständlich, Herrin«, sagte das Silbermännchen nun und tupfte sich die Stirn mit einem weiß-blau gepunkteten Tuch ab, das es aus der linken Reverstasche seiner eleganten Anzugjacke hervorzog. »Es verkauft sich einfach nur besser, wenn ...«
»Es reicht, ich will nicht länger dieses Gerede ertragen müssen!«, unterbrach ihn die Hexe. Das Silbermännchen hustete. »Den magischen Gesetzen zufolge muss es sich aber reimen«, erwiderte es schwach. »Ich bekomme gleich Kopfschmerzen«, stöhnte die Hexe. »Dieser Widerspruchsgeist! Wesen wie du zwingen mich dazu, Konsequenzen zu ziehen.«
Das Silbermännchen wurde blass.
»Ich lasse dich verschwinden«, sagte die Hexe langsam und betrachtete den Silbermann wie eine lästige Fliege. Der verneigte sich erneut tief. »Du glaubst wohl, du bist unersetzlich?«, fragte die Hexe. Das Silbermännchen schüttelte den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht! Also ... was Ihr vorgeschlagen habt ... Es reimt sich, natürlich tut es das«, sagte es und lächelte bitter. »Wenn Ihr das sagt, dann ist es so.«
»Du wirst trotzdem verschwinden«, sagte die Hexe kalt. »Ich habe genug.«
Das Silbermännchen sah jetzt noch durchscheinender aus als vorher. Seine vormals blaue Farbe wechselte zu einem geisterhaften Weiß. Mira spürte, wie ein Kälteschauer durch ihren Körper jagte, und sie klammerte sich am Schreibtisch fest.
Die Hexe baute sich vor dem zitternden Silbermann auf, starrte auf ihn herab und fuhr mit leiser, aber schneidender Stimme fort.
»Ich tilge jede Erinnerung und jeden Gedanken an dich und auch an alle deine Gedichte und Vorstellungen. Nichts wird von dir übrig bleiben. Du wirst zu nichts zerfallen. Aus dem Nichts bist du gekommen und zu nichts sollst du werden. Es wird so sein, als hätte es dich nie gegeben.« »Nein!«, sagte das Männchen und silberglänzende Tränen liefen ihm über die Wangen. »Tut mir das nicht an! Ich will nicht in das Vergessen fallen!« Mira beugte sich zu dem Männchen hinunter. »Ich werde mich an dich erinnern«, flüsterte sie. Doch sie wusste nicht, ob das Wesen sie noch verstanden hatte, denn in diesem Moment schnippte die schwarze Hexe mit den Fingern, und der Silbermann verschwand. Es rauschte und schwirrte, sämtliche silberne Karten erhoben sich in die Luft und flogen und purzelten wie ein eiliger, blitzender Vogelschwarm in das Kaminfeuer. Die Flammen verschlangen die Karten in einem jähen Auflodern. Schatten und Seufzer erfüllten die Dachkammer. Mira spürte, wie sie am ganzen Körper Gänsehaut hatte.
Die schwarze Hexe seufzte. »Geistwesen«, sagte sie verächtlich. »Sie halten sich für besonders wichtig, dabei ist es so leicht, sie zu vernichten.«
Das Feuer loderte noch einmal auf. Eine kalte, blaue Flamme warf ihr verglühendes Licht auf die Hexe, deren Gesichtszüge hart hervortraten. »Sie glauben an die Macht der Worte, der Ideen. Aber ihre Macht ist begrenzt, wie du siehst.«
Die letzten silbernen Karten krümmten sich, bevor sie ganz von den Flammen verzehrt wurden. Zurück blieben brüchige Skelette, die nach kurzer Zeit zu Asche zerfielen. Obwohl das Feuer brannte, war Mira eiskalt und sie wagte nicht aufzusehen.
»Du brauchst ihm nicht nachzutrauern!«, sagte die Hexe, die sie beobachtet hatte. » Er ist nur ein Gedanke, und davon gibt es Hunderte, Tausende!« Mira konnte sich nicht bewegen. Ihr Atem stockte und ihre Stimme schien sich verflüchtigt zu haben.
»Du hältst es für grausam, was ich gerade eben getan habe?« Die Hexe warf ihr einen durchdringenden Blick zu. »Er war ein Geistwesen, das vergessen hatte, was seine eigentliche Aufgabe ist. Diese Geistwesen sind nicht dazu da, ihren Spielereien nachzugehen. Sie sollen für uns denken. Wenn sie das nicht mehr tun, sind sie einfach unbrauchbar!«
Sie wandte den Blick von Mira ab und starrte in den Kamin, wo das Feuer nun wieder gleichmäßig brannte und sich durch die Holzscheite fraß.
»Macht zu haben heißt vor allem Last und Verantwortung.
Aber wer, wenn nicht wir, soll die
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