Mira und der weiße Drache (German Edition)
würdigen. Die schwarze Hexe sah es missbilligend an. »Was tust du denn noch hier?«, fragte sie ungehalten. Der Silbermann trat einen Schritt nach vorne und verneigte sich tief. »Der neue Werbespruch ist fertig. So wie Ihr es gewünscht habt.« Unverhohlener Stolz schwang in seiner Stimme. Die Hexe winkte ab. »Ich bin beschäftigt, belästige mich damit ein andermal!« Das Männchen zeigte einen enttäuschten Gesichtsausdruck, sodass es Mira trotz seines aufgeblasenen Getues leidtat.
Es hob kurz den Arm und sagte dann mit fester Stimme: »Es dauert nicht lange, nur eine Minute Eurer kostbaren Zeit. Ich habe eine ganze Woche damit verbracht.« Die Hexe seufzte. »Nun gut, aber mach rasch. Und du ...«, sie schubste Mira nach vorne zum Schreibtisch, »... kannst auch gleich zuhören und sagen, was du davon hältst.« Das Silbermännchen sah Mira mit hochgezogenen Augenbrauen an, verneigte sich wieder und begann mit getragener Stimme seinen Spruch aufzusagen:
Schwarzen Zauber fliehet nicht,
höret lieber dies Gedicht.
Hier legte das Silbermännchen eine Kunstpause ein und blickte zur schwarzen Hexe, die ungeduldig mit ihren Spinnenfingern auf der Tischplatte herumzutrommeln begann. Hastig sprach der Silbermann weiter:
Dinge, die zu groß geraten,
sieht man hier in allen Arten.
Dinge, die jedoch zu klein,
nehmt sie auch hier in Augenschein.
Wer sich gern verstecken will,
der bleibe hier und halte still.
Neue Namen er bekommt
mit Fug und Recht und dazu prompt.
Geheimes solle keiner lesen,
Menschen nicht noch andre Wesen.
Ein dunkles Netz der Zauber webt,
darin das schwarze Wissen lebt.
So lässt’s sich herrschen ohne Sorgen,
gut vom Rest der Welt verborgen.
Und der will diese Macht nicht missen,
nimmt sie sich mit geheimem Wissen.
Auf all dies eine Antwort weiß
(Hier stimmt der Rat
und stimmt der Preis)
die wundersame Pia Fraus
im schwarzen Haus.
Das Männchen endete und eine Weile herrschte Stille.
»Und? Wie findest du es?«, fragte die schwarze Hexe und bohrte Mira ihren knochigen Finger in den Rücken. Mira schluckte. Sie hatte keine Ahnung, wovon das Silbermännchen gesprochen hatte, aber als sie den gespannten Ausdruck auf seinem Gesicht sah, sagte sie: »Es ist gut, finde ich, es hat viele schöne Worte!« Der Silbermann schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. »Viele schöne Worte«, murmelte die Hexe. »So, so.« Das Silbermännchen sah die Hexe weiter erwartungsvoll an. Die massierte mit dem Zeigefinger ihre Schläfe und sagte nach kurzem Nachdenken: »Die erste Strophe lass ganz weg, und in der letzten Strophe ersetze wundersam durch hochgelehrt und im schwarzen Haus durch Silberne-Fisch-Gasse Nummer 8 ! Dann ist es ganz annehmbar.« Dann bedeutete sie dem Männchen mit dem Wedeln ihrer linken Hand, schnell zu verschwinden. Das Silbermännchen blieb jedoch stehen und verneigte sich wieder. »Mit Verlaub«, sagte es und hatte Mühe, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen, »das würde das Gedicht nicht wirklich verbessern.«
Die Hexe schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. »So!«, sagte sie und lächelte immer noch. »Gibst du mir gute Ratschläge? So wie beim letzten Mal, als du dich an die Passwörter nicht mehr erinnern konntest?«
»Nein, nein!« Das Männchen schüttelte eifrig den Kopf. »Nicht ich habe sie vergessen. Ich habe Euch sogar gebeten, alle Passwörter aufzuschreiben und zu verschlüsseln. Ihr habt dann aber die Verschlüsselung der Passwörter verlegt.« Die Hexe schloss für einen Moment ihre Augen und rieb sich mit dem Zeigefinger ihre Nasenwurzel. »Genug! Ich will nichts mehr davon hören. Du schreibst es um, wie ich es sage, und dann verschwinde!«
»Es reimt sich aber nicht«, widersprach es tapfer. Das rechte Augenlid der Hexe begann zu flattern. »Was soll das heißen?«, fragte sie und lächelte das Wesen weiter mit eiskalter Freundlichkeit an. Das Silbermännchen atmete tief ein. »Ich wollte nur sagen«, begann es zögernd, wurde dann aber im Verlauf seiner kleinen Ansprache immer sicherer, »dass es so nicht funktioniert. Man braucht am Schluss ja einen Reim auf Fraus. Haus passt da natürlich am besten. Sonst ist es einfach ein schlechter Reim.«
Die Hexe starrte ihn wortlos an. Mira spürte, wie sich die Härchen an ihrem Arm aufstellten. Das Silbermännchen verbeugte sich bis tief zum Boden. »Die Grundidee von Euch ist natürlich brillant«, fuhr es etwas matt fort. »So ...«, sagte die Hexe, »... brillant?« »Äh, ja, brillant, auch das Wort
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