Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
setzte die Sonne schimmernde Lichtpunkte, die auf den Wellen schaukelten.
»Komm schon!«, rief Miranda, drängte an Mira vorbei und lief die glitschigen Stufen hinab. Mira folgte ihr in einigem Abstand, und bald standen beide am Wasser, das gegen eine bemooste Steinmauer schwappte. »Siehst du einen Drachen?«, fragte Miranda nervös, während sie sich umblickte. Zwischen den großen, kantigen Mauersteinen wucherten Farne und kleine Flechten. Ein rostiger Eisenring ragte aus der Mauer. Dort hatte man wohl früher die Boote festgemacht. Mira bog die kräftigen Farnblätter auseinander, die über den Ring wuchsen, und fuhr zurück. Der Eisenring steckte im Maul eines Drachen! Ein recht kleiner unscheinbarer Drache, aber seine Augen hefteten sich nach links auf den Uferweg.
»Hier entlang«, rief Mira.
Miranda lachte. »Es gibt sie also tatsächlich! Die Spur der Drachen!«
Der Weg neben dem Wasser war nicht mehr als zwei Hand breit und überwuchert von Brennnesseln und dornigem Gestrüpp. Miranda wich den Dornen geschickt aus und ging voran. Links von ihnen ragte die hohe Stadtmauer auf. Miramusste sich mehrmals daran abstützten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Nach kurzer Zeit kamen sie zu einem Wehr. Das Wasser rauschte weiß und schäumend über einen Steg. Miranda ging in die Hocke und ließ ihren Blick umherschweifen. »Da, Mira! Der Drache! Er ist auf der Tür.«
Am anderen Ufer befand sich ein großer Backsteinbau. Auf einer kleinen Tür unter einem Fenster mit eingeworfener Scheibe war ein Graffiti. Ein Drache, mit wenigen Linien aufgesprüht, genau so, wie Rabeus ihn in den Sand gezeichnet hatte.
»Wir müssen über das Wehr«, rief Miranda.
Mira zog ihre Schuhe aus, band die Schnürsenkel zusammen, hängte sie sich um den Hals und balancierte hinter Miranda über den Steg. Das Wasser umspülte ihre Knöchel.
»Hilfe!« Mira spürte, wie sie wegrutschte.
»Gib mir deine Hand«, rief Miranda. Gerade noch rechtzeitig zog sie Mira ans andere Ufer und stieß die Tür mit dem Graffiti auf.
Die Mädchen staunten. Sie befanden sich nun in einer riesigen leeren Fabrikhalle. Durch die Löcher in den zerbrochenen Scheiben schickte die Sonne schmale Lichtstreifen auf alte Maschinen mit großen und kleinen Zahnrädern. Mira erinnerten sie an die Geräte, auf die sie einen Blick bei der schwarzen Hexe erhascht hatte. Nur waren diese hier wesentlich größer und von Spinnweben überzogen.
»Das sind alte Webstühle«, erklärte Miranda, und obwohl sie flüsterte, hallte ihre Stimme an den hohen Wänden wider. Da begann sich das Rad eines der Webstühle langsam zu drehen. Mira und Miranda erstarrten vor Schreck. Hinter der Maschine hörten sie Schritte und eine schmale Gestalt kam auf sie zu.
»Auch schon da?«, fragte Rabeus lässig.
»Sehr komisch!«, entgegnete Miranda verärgert. »Wie kommst du denn so schnell hierher?«
»Durch die unterirdischen Gänge. Hinter dem Haus von Miras Tante gibt es einen Einstieg.« Rabeus lachte. »Und dieser blöde Sperber kreist wohl immer noch über den Garagendächern und wartet, bis ich wieder herauskomme.«
»Du meinst, es gibt unter der ganzen Stadt unterirdische Gänge?«, fragte Mira.
»Ja, und die Eingänge und die Wege dorthin sind mit Drachen gekennzeichnet.«
»Das ist also die Spur der Drachen!«, rief Miranda aufgeregt. »Ich habe davon gehört, aber keiner konnte mir bisher sagen, was das bedeutet.«
»Habt ihr das Graffiti gesehen?«, fragte Rabeus. »Das ist mein Symbol. Ich habe schon drei Eingänge gefunden und sie mit dem Grafitti markiert.«
»Kommt man durch diese Gänge auch in den Keller vom Blauen Pfau ?«, fragte Mira neugierig.
Rabeus nickte: »Mein Lieblingskeller! Es gibt dort die tollsten Sachen.« »Ehrlich?«, fragte Miranda.
»Maden, Fadenwürmer, graue Eier und Quallen in Salzlake!« Rabeus’ Augen leuchteten.
Mira schüttelte sich. Im Gegensatz zu ihren Freunden machte sie sich nichts aus hundert Jahre alten Eiern, gebratenen Spinnweben, marinierten Schnecken oder Würmern, die in trüben Flüssigkeiten schwammen.
»Eigentlich wollte ich gar nicht in den Keller. Ich dachte eher, wir könnten Hippolyt im Blauen Pfau einen kleinen Besuch abstatten.«
»Da wirst du nicht viel Glück haben«, erwiderte Rabeus.»Seit dem Abend, an dem das Buch verbrannt ist, steht der Blaue Pfau leer und Hippolyt ist spurlos verschwunden.«
»Und das ist auch besser so für ihn«, rief Miranda grimmig. »Was glaubt ihr, was der Zauberrat
Weitere Kostenlose Bücher