Mira und die verwunschenen Kugeln (German Edition)
Unterlippe nach vorne, sah zu Mira und drehte die Augen nach oben. Graumalkin schien davon nichts bemerkt zu haben. Ihre Stimme klang nun ganz leise und heiser.
»Diese Kugeln sind sehr, sehr alt. Cyril de Montignac, den du ja gut kennst ...« Sie zupfte Mira am Ärmel. »Die Kugeln gehörten ihm. Deshalb hießen sie auch die Kugeln des Drachen. Später haben immer nur schwarze Zauberer sie besessen. Wer die Kugeln hatte, der verriet es keinem anderen. Die Zeitsichtkugel zum Beispiel ...«
Graumalkin machte eine kleine Pause und reckte unheilverkündend den dunklen Schnabel nach oben.
»Jeden, der sie besessen hat, hat sie zugrunde gerichtet!«
Der große schwarze Vogelkörper der Krähe schüttelte sich in wohligem Schaudern.
»Sie alle wollten in die Zukunft schauen! Sie wollten wissen, ob sie reich oder mächtig sein würden. Was mit ihren Feinden geschieht und ob ihre Pläne gelingen würden. Diese Narren!« Sie stieß ein seltsames rasselndes Husten aus – oder war es ein Krähenlachen?
»Und dann zeigte ihnen die Kugel einfach, was sie wollte.«
»Was sie wollte?«, fragte Mira verwirrt. »Wie kann denn die Kugel etwas wollen?«
Die Krähe schlug mit den schwarzen Flügeln und nickte. »Nun, wenn Zaubergegenstände so alt sind wie diese, dann haben sie auch ihr eigenes Leben und ihren eigenen Willen. So ist es auch mit der Zeitsichtkugel. Sie zeigt dir, was sie will, und nicht, was du willst. Es ist, als ob ein Vorhang sich hebt.«
»Ein Vorhang?«, fragte Miranda verständnislos.
Graumalkin drehte sich zur Seite und sah Miranda schief an.
»Jawohl! Ein Vorhang, der sich für einen Moment auftut, und dann sieht man für einen kurzen Augenblick die Zukunft. Einen kleinen Ausschnitt. Ein flüchtiges Bild. Mehr nicht.«
»Also versteht man nicht alles, was man in der Kugel sieht?«, fragte Mira.
Die Krähe nickte. »Richtig! Und das führt geradewegs ins Verderben.« Graumalkin zog das letzte Wort sehr lang und genoss die unheilvolle Stille, bevor sie weiterkrächzte.
»Viele Zauberer haben wegen dieser Kugel ihr Vermögen verwettet, weil sie gesehen hatten, dass sie angeblich reich würden. Anderen erzählte die Kugel, dass sie ungeheuer mächtig würden, und sie taten daraufhin alles, um es zu werden. Und dann sind sie umgekommen oder wahnsinnig geworden.«
»Dann lügt die Kugel also?«, fragte Mira.
»Nein. Das ist es ja. Die Kugeln lügen nie! Das Stück, das man in der Zukunft oder in der Vergangenheit sieht, stimmt immer.«
»Also, ich verstehe das nicht«, warf Miranda ein. »Wenn das stimmt, dann kann das doch nicht gefährlich werden.«
»Oh doch.« Graumalkin hüpfte auf Miranda zu. »Du hast ja keine Vorstellung davon, wie gefährlich es werden kann.«
»Ich glaube das nicht!« Miranda verschränkte die Arme.
Graumalkin stieß sie wütend mit dem Schnabel an. »Glaub es oder nicht, hüte dich davor, in diese Kugeln zu blicken!«
»Noch haben wir sie ja nicht einmal«, winkte Miranda lässig ab.
»Und«, fragte Mira, »was ist eigentlich mit der dritten Kugel?« Graumalkin hüpfte kurz hoch und wiegte ihren zerzausten Kopf hin und her. »Das willst du nicht wissen«, sagte sie mit rauer Stimme. »Die dritte Kugel bringt den Tod.«
Für einen Moment konnte sich Mira in den schwarzen Pupillen der Krähe selbst sehen. Sie sah winzig aus. Ein verschrecktes Kind zwischen zwei Zauberern, die viel größer wirkten als sie.
Die Kinder saßen eine Weile schweigend da. Es war still. Am Himmel zog eine Schwalbe vorüber.
Nach einer Weile schlug Graumalkin mit ihren großen, schwarzen Flügeln.
»Seltsam, dass ausgerechnet Thaddäus nach den Kugeln fragt. Sehr seltsam.«
»Wieso denn?«, fragte Miranda.
»Thaddäus ist der einzige weiße Zauberer außer dem Drachen, der die Kugeln je besessen hat. Und sie haben ihm kein Glück gebracht. Wahrlich nicht!« Graumalkin murmelte die Worte und sprach mehr zu sich selbst als zu den Kindern.
Dann faltete sie ihre Flügel auseinander und pickte Rabeus ins Ohr. »Und du, ruf mich nie mehr, wenn du mich nicht dringend brauchst! Verstanden?«, rief sie. »Nichtsnutz, so ein Nichtsnutz!«
Sie flatterte hoch, flog über die Garagendächer, stieg weiter auf und war bald nur noch ein winziger Punkt am blassblauen Himmel.
Mira schirmte ihre Augen mit der flachen Hand gegen die Sonne ab und sah ihr lange nach.
6. Kapitel
in dem Mira eine Entdeckung macht
»Woher kennst du eigentlich Graumalkin?«, fragte Mira neugierig.
»Tja«, sagte Rabeus und
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